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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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immer dienstagabends bei Eileen und Don an. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte mich melden -«
    »Ist schon gut, das macht nichts.« Sie seufzte. »Wir haben die Nachrichten gesehen. Diese jungen Frauen ... grauenhaft. Ich habe zu Don gesagt, bestimmt hat unser Phil den Fall bekommen.«
    Phil hörte den Stolz in ihrer Stimme. Er lächelte. »Ja, du hast recht.«
    »Und deswegen musstest du heute Nachmittag der Tochter von Lynn Lawrence absagen. Das arme Ding.«
    »Sie wird's verkraften.«
    »Hättest du dich nicht später noch mit ihr treffen können? Zum Abendessen?«
    »Ich glaube kaum, dass ich besonders gute Gesellschaft gewesen wäre.«
    »Ich weiß, Phil.« Wieder seufzte sie. »Schrecklich. Wir leben in einer schrecklichen Welt.«
    »Nicht alles an dieser Welt ist schrecklich«, widersprach Phil sanft.
    »Don will alles über den Fall wissen. Ich habe ihm gesagt, dass du ihm bestimmt nichts verraten darfst. Natürlich weiß er das, aber es hält ihn nicht davon ab zu fragen ...«
    Phil lehnte sich zurück und schlürfte sein Bier, während Eiken zu erzählen begann. Geschichten über Freunde, die er nicht kannte, oder über Don, der mit dem neuen DVD-Recorder auf Kriegsfuß stand, waren genau das, was er nach einem Tag wie diesem brauchte. Sie machten ihm klar, dass die Welt, anders als Eileen behauptet hatte, kein Ort des Schreckens war, sondern ein Ort, an dem die Menschen glücklich waren und ihrem ganz normalen, alltäglichen Leben nachgingen. Viele seiner Kollegen empfanden den Kontakt mit ihren Eltern als lästige Pflicht. Phil konnte das nicht verstehen. Er hätte die Telefonate mit Eileen um nichts in der Welt missen mögen.
    Allmählich gingen Eileen die Geschichten aus und sie leitete zu ihrem Lieblingsthema über. »Ich wünschte nur, du würdest endlich mal eine Frau kennenlernen, Phil. Du hast jemand Nettes verdient. Jemanden, der dir ein bisschen Freude schenkt.«
    Er antwortete, wie er es immer tat: »Ich weiß, Eileen. Aber wann habe ich schon mal Gelegenheit dazu? Auf der Arbeit lerne ich keine Frauen kennen.«
Höchstens tote,
fügte er im Stillen hinzu.
    »Also, ich habe jedenfalls mein Bestes versucht. Du bist ein erwachsener Mann, du musst selbst wissen, was du tust. Ach so, Don lässt übrigens fragen, ob du am Sonntag auch wirklich kommst. Ich glaube, er möchte einfach jemanden dahaben, der mit ihm zum Fußballgucken in den Pub geht. Keine Ahnung, warum. Schließlich können wir Sky genauso gut zu Hause sehen.«
    Phil konnte sie sich vorstellen, wie sie in ihrem großen Haus, das in Mile End direkt neben dem Bahnhof lag, im Sessel saß. Das Haus war in den fünfziger Jahren im Pseudo-Tudorstil erbaut worden, wuchtiges Gebälk zierte Innen- und Außenwände. Es war mit großer Sorgfalt eingerichtet, von Generationen von Pflegekindern verwüstet und immer wieder liebevoll renoviert worden. Er liebte die Atmosphäre des Hauses: laut und energiegeladen, aber gleichzeitig warm und einladend. Es schien sehr leer, jetzt, da Don und Eileen keine Pflegekinder mehr aufnahmen und nur noch zu zweit darin wohnten. Aber Phil besuchte sie immer gern. Es machte seine Sonntage zu etwas ganz Besonderem.
    »Natürlich komme ich. Ich freue mich schon.«
    Sie verabschiedeten sich voneinander, und Eileen legte auf. Phil war wieder allein.
    Er seufzte. Die Worte seiner Mutter hatten einen Nerv getroffen. Er sah sich im Wohnzimmer um. Volle Bücherregale, eine umfassende Film- und Musiksammlung, Drucke an den Wänden - all das zeugte von einem interessanten und erfüllten Leben. Da er fast immer allein gelebt hatte, vermisste er keine Gesellschaft. Aber manchmal hätte er sich doch gefreut, wenn er jemanden gehabt hätte, mit dem er sein Leben hätte teilen können. Jemand, zu dem man abends nach Hause kam.
    Er lachte laut auf. Selbstmitleid stand ihm nicht.
    »Vielleicht lege ich mir einen Hund zu«, sagte er in den stillen Raum hinein.
    Er trank noch einen Schluck von seinem Bier und schaltete den Ton der Stereoanlage wieder an. Es brauchte nur ein paar Takte, und sofort waren seine Gedanken wieder bei Marina. Er hatte das Album während ihrer kurzen Affäre oft gehört. Jeder Song darauf erinnerte ihn an einen anderen Aspekt von ihr, aber ein Lied stach ganz besonders heraus. Er wusste, dass es bald an der Reihe sein würde, und sah dem mit Sehnsucht und Unbehagen zugleich entgegen. Es würde Erinnerungen mit sich bringen, von denen er nicht wusste, ob er sie aushalten würde. Und dennoch waren es

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