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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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konkurrieren. Sie hätte unseren kleinen kulinarischen Seitensprung daher prompt als Missachtung ihrer Kochkünste ausgelegt. »Das erzählst du zu Hause mal lieber nicht weiter«, schärfte Vati mir überflüssigerweise ein, und ich dachte mir, dass zwischen den beiden Ehepartnern auch nicht alles in Ordnung war.
    Im Juni 1977 war die Frau des Hauses plötzlich weg. »Mutti ist im Krankenhaus«, hieß es. Obwohl ich mit meinen zehn Jahren allmählich »vernünftig« wurde, wie es oft hieß, war ich mehr als irritiert, dass Mutti nicht anwesend war, als ich im Wohnzimmer meiner Tante mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen meinen Geburtstag feierte. Nie war sie krank gewesen, keinen Tag hatte sie in der Klinik verbracht, seit ich hier war. Für mich war dieser Aufenthaltsort gleichbedeutend mit Krankheit. Mit Schaudern erinnerte ich mich an die Gasmaskenattacke, die dort auf mich verübt worden war. Sofort war meine Angst wieder da. Wird Mutti jemals wiederkommen?, fragte ich mich voller Sorge. Werde ich sie jetzt verlieren, wie einst Onkel Karl?
    Kindern unter vierzehn Jahren war damals der Zutritt zu Kliniken generell untersagt, weshalb ich gar nicht die Gelegenheit hatte, nachzusehen, wie es ihr im Krankenhaus erging. Natürlich hatte man mir erzählt, dass meine Mutti von dort ein kleines Brüderchen mitbringen würde, ohne dass ich eine Vorstellung davon hatte, wo dieses Kind herkommen sollte. Aber die Erwachsenen hatten mir schon immer alle möglichen Geschichten erzählt.
    Ein paar Tage später hieß es dann: »Mutti ist bald wieder daheim.« Nun würde sich zeigen, ob sie mir die Wahrheit gesagt hatten. Meine Hortnerin in der Kinderbetreuung war an jenem Tag sicher genervt von mir. Während ich sonst mit Hingabe den vorgelesenen Abenteuern der kecken Pippi Langstrumpf, den Wohltaten des großen »Kinderfreundes« Karl Marx aus dem in der DDR berühmten Kinderroman
Mohr und die Raben von London
oder den Umverteilungsaktionen des russischen Robin Hood,
Timo,
und seines Trupps lauschte, sah ich diesmal andauernd auf die Uhr. Der Tag im Hort zog sich endlos für mich hin. Ich war überdreht, neugierig und voller Vorfreude.
    Nach einer Ewigkeit war es dann so weit. Ich hatte gewöhnlich mit Sport nicht viel im Sinn. Aber auf dem Heimweg rannte ich an diesem Nachmittag den Berg zu unserem Haus so schnell hinauf, dass mir die Puste ausging. Noch völlig außer Atem, sah ich sie schon von weitem im Hof vor dem Haus auf unserer Hollywoodschaukel sitzen. Sie hatte Besuch von einer entfernten Verwandten, die im Labor der Klinik arbeitete.
    »Mutti, Mutti!«, rief ich voller Freude und rannte auf sie zu.
    Ihr Blick sagte mir, dass sie beschäftigt war. Aber ich bezog das nicht auf mich und wollte sie umarmen. Noch nicht einmal »Hallo« sagte sie zu mir. Im Gegenteil: Sie stieß mich von sich und raunzte mich an: »Pass doch auf!« Dann trug sie mir auf, erst einmal meinen Ranzen aufzuräumen.
    Das war zu viel. Ich stürmte die Treppe ins Haus hoch und hoffte gleichzeitig, dass Mutti mir folgen würde. Aber sie kam nicht. Vati war auch nicht zu Hause und nicht einmal das versprochene Brüderchen. Ich verzog mich in meine Schlafstube und weinte. Seit unsere Untermieterin angesichts der bevorstehenden Familienerweiterung das Feld hatte räumen müssen, verfügte ich über ein eigenes Zimmer, wo ich meinen Tränen freien Lauf lassen konnte.
    Während ich mich in meine Kissen verkroch, verwandelte sich meine Trauer in Trotz. Wenn Mutti meine Zuneigung nicht will, dann zeige ich sie ihr auch nicht mehr, beschloss ich. In meinem Starrsinn glaubte ich fortan, auf ihre Mutterliebe verzichten zu können.
    Fürsorglich wie immer kam irgendwann die betagte Oma Erna herein und erkundigte sich: »Was ist denn los mir dir, Katrin?«
    »Egal«, erwiderte ich abweisend, »nicht wichtig«.
    Sie versuchte mich mit ihrer heißen Schokolade zu trösten. Aber nicht einmal der Zaubertrank mochte mir heute schmecken.
    »Freust du dich denn nicht, dass Mama wieder da ist?«, fragte sie.
    Da konnte ich es mir nicht verkneifen, zu antworten: »Ja – aber sie freut sich nicht, mich zu sehen!«
    Meine Oma wollte das nicht recht glauben und versuchte mich versöhnlich zu stimmen. Aber dazu sah ich nun wirklich keinen Anlass.
    »Und ich blöde Kuh«, grollte ich in mich hinein, »hab mich doch tatsächlich auf sie gefreut!« Ich fühlte mich wie gelähmt und badete in Selbstmitleid.
    Irgendwann war ich des Schmollens überdrüssig und schlich die

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