Entrissen
einer lila Cordjacke, weißen Sandaletten und einer rosa Nylon-Blüte an einer Anstecknadel. Schon damals kam ich mir in dieser Mischung aus einem Ballkleid für den Abschlussabend des Tanzkurses und einem gesteiften Küchenvorhang nicht übermäßig modisch vor. Das hatte allerdings auch damit zu tun, dass ich mich generell nicht besonders mochte. Ich fand mich eher unattraktiv und scheute den Blick in den Spiegel. Auf den Porträtfotos ist mir deutlich anzusehen, wie unwohl ich mich damals in meiner Haut fühlte: gestelzte Haltung, gequältes Lächeln, unsicherer Blick.
Dennoch sträubte ich mich nicht gegen die Zwangseinkleidung und zeigte meiner Mutti gegenüber aufgesetzte Freude. Vielleicht erblickte ich darin die Gelegenheit, ihr zu gefallen und sie mit Stolz zu erfüllen. Schließlich war dieses Kostüm nicht gerade preiswert, auch wenn es auf langfristige Haltbarkeit angelegt war. Wenn Mutti diese Summe für mich ausgab, dann musste ich ihr schließlich etwas bedeuten, dachte ich voller Überzeugung.
Jedenfalls freute ich mich riesig auf den bevorstehenden Feiertag, und zwar in erster Linie aus einem im Grunde materialistischen und eigennützigen Motiv. Ich wusste, dass es für den Empfang der Jugendweihe eine durchaus kapitalistische Entlohnung gab: Geldgeschenke. Es war üblich, dass Verwandte, Nachbarn, Kollegen der Eltern und Freunde des Hauses dem Geweihten den einen oder anderen Schein zusteckten, was sich zu einem stattlichen Betrag summieren konnte. Im Kreis der Mitschüler hatten wir bereits darüber gesprochen, was wir mit dem Geld anfangen könnten. Insgeheim malte auch ich mir aus, wie ich mein erstes eigenes Guthaben am sinnvollsten anlegen sollte.
Mein Wunsch stand bald fest: Ich wollte mir einen eigenen Stern-Radiorecorder zulegen. Dieses Gerät aus der Fertigung des VEB Sternradio Berlin war zu jener Zeit das Nonplusultra zum Musikhören. Man konnte damit Audiokassetten, für uns damals Haupttonträger für Musik, abspielen. Diese tragbare Diskothek verfügte neben einem integrierten Radiogerät nämlich über ein Kassettendeck. Damit ermöglichte dieses kleine technische Wunderwerk dem Nutzer, Radiosendungen, Schlager und Hitparadensongs mitzuschneiden – für einen DDR-Jugendlichen ein ungeheurer Luxus. Musik machte mein Leben damals erträglicher. Ein eigenes Abspielgerät hätte mir den unschätzbaren Vorteil eingebracht, mir Lieder und Hörspiele anzuhören, wann immer ich es wollte, ohne mir dafür jedes Mal die Erlaubnis meiner Eltern einzuholen. Allerdings war der erwünschte Konsumartikel entsprechend teuer, daher hoffte ich inständig, dass alle Spenden zusammen den erforderlichen Kaufbetrag von eintausendsechshundert Ostmark ergeben würden.
Wie die übrigen von der FDJ , der SED oder der Schule inszenierten Zeremonien ließ ich auch die Jugendweihe mehr über mich ergehen, als mich persönlich davon berühren zu lassen. Für das öffentliche Leben in unserem Städtchen zählte sie zu den Höhepunkten im jährlichen Veranstaltungskalender. Den stilvollen Schauplatz gab das Stadttheater von Gera ab. Im Zuschauerraum des Prachtbaus aus der Jugendstilzeit saßen neben stolzen Eltern, begleitenden Geschwistern, Onkeln, Tanten und Großeltern auch die wichtigsten Amtsträger der Partei und der Stadt.
Hauptdarsteller aber waren wir. Unsere ganze Klasse durfte in der ersten Reihe sitzen, während sich Eltern und Gäste irgendwo weiter hinten verloren. Jeder von uns wurde namentlich aufgerufen, um den entscheidenden Schritt in die Welt der Erwachsenen zu tun. Mir war das alles eher peinlich. Im Rampenlicht zu stehen, noch dazu in einer mir eher unbehaglichen Kostümierung, das entsprach so gar nicht meinem zurückhaltenden Wesen.
Doch als ich die Treppe zur Bühne erklomm, auf der mir die Pionierleiterin der FDJ die Aufnahmeurkunde mitsamt einer rosa Nelke und der obligatorischen Fibel
Der Sozialismus – Deine Welt
in die Hand drückte, spürte ich gleichwohl die Einzigartigkeit dieses Moments. Alle sahen auf mich, ich wurde namentlich herausgehoben aus der Menge. Ich gehörte zur Gemeinschaft und war einen Augenblick lang keine Außenseiterin mehr. Nun war ich in aller Öffentlichkeit als fast vollwertiger Staatsbürger anerkannt und bekam das vor aller Augen beurkundet. Ja, ich empfand seit langem mal wieder so etwas wie Stolz auf mich. Dieser Moment auf der Bühne versprach mich aus der häuslichen Enge zu befreien, um endlich das tun zu können, was
ich
wollte. Ich suchte den
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