Entscheidung aus Liebe
Kindern oder nachts im Garten. Er arbeitete oft abends in der Bibliothek, über seinen Tisch gebeugt, bis ihn das Bedürfnis überkam, sich die Beine zu vertreten. Dann ging er üblicherweise zum Fenster und wartete. Schließlich erschien sie im Garten, so wie sie es beinahe jede Nacht tat. Im Dunkeln erkannte er sie meistens nur an ihren anmutigen, fließenden Bewegungen. Im Laufe der Zeit wuchs ein seltsames, unstillbares Verlangen in ihm. Je mehr er sich in seine Einsamkeit zurückzog, desto stärker wurde dieses Gefühl. Doch wonach er sich tatsächlich sehnte, wusste er nicht.
Ruhelos streifte er durch das Haus und wünschte, das Wetter wäre gut genug für einen Ausritt. Er brauchte die körperliche
Verausgabung und das Gefühl der Freiheit, das ihn in der Natur überkam.
Erst vor der Tür zum Kinderzimmer wurde ihm bewusst, wohin er instinktiv gegangen war. Seine Füße schienen von allein den Weg gefunden zu haben, während sein Geist mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war. Doch er stellte fest, dass er nicht unerfreut über seine Entdeckung war. Die Tür stand ein Stück offen, und er stieß sie weiter auf.
Chloe war allein im Spielzimmer und saß auf der Fensterbank. Sie hatte den Kopf gedreht, um aus dem Fenster auf den grauen Winterhimmel zu starren, und offensichtlich hatte sie sein Eintreten nicht gehört. Auf ihrem Schoß lagen einige Papierblätter, die sie wie einen Schatz in den Händen hielt.
„Miss Chloe?" fragte er sanft.
Sie drehte sich um, stand jedoch nicht auf. Ihr Haar war in seinem üblichen unordentlichen Zustand, doch er merkte plötzlich, dass die leicht zerzauste Mähne sogar ihre natürliche Schönheit betonte. Wie sehr sie sich doch von all diesen perfekt gekleideten und frisierten Damen der Gesellschaft unterschied!
„Guten Tag, Euer Gnaden." Ihre Stimme klang ungewohnt leise. „Wenn Sie die Kinder suchen, sie halten gerade ihren Mittagsschlaf. Ihre Laune war heute nicht besonders gut, deshalb habe ich darauf bestanden."
Er kam ein Stück näher. „Stimmt etwas nicht? Sie scheinen betrübt zu sein. Haben Sie schlechte Nachrichten erhalten?" Er wies auf den Brief in ihren Händen.
„Pardon? Oh, aber nein. Das ist nur ein Brief meiner Familie, der heute eingetroffen ist. Er enthält nur gute Neuigkeiten."
Er setzte sich neben sie auf die Fensterbank. „Trotzdem wirken Sie traurig."
Sie schwieg einen Moment, während sie wieder aus dem Fenster starrte.
„Manchmal macht es mich melancholisch, wenn ich Briefe von zu Hause erhalte. Ich vermisse ihn so sehr. "
Jareth verspürte ein seltsames Stechen im Herzen. „Ihn?"
„Mon pere. Papa."
„Papa ... Sie vermissen Ihren Vater?"
„Natürlich. Auch er ist sehr traurig darüber, von mir getrennt zu sein. Seine Briefe sind immer so liebevoll, und er schreibt, wie gerne er mich wieder sehen möchte. Trotzdem ist er nicht einsam. Er hat eine neue Liebe gefunden."
„Und das gefällt Ihnen nicht?"
„Oh, nein, Monsieur, ganz im Gegenteil. Ich bin sehr erleichtert, dass er nach dem Tod meiner Mutter endlich mit seinem Leben fortfährt, doch es ist traurig, nicht bei ihm zu sein. Ich würde sein Glück gern teilen."
„Ah", sagte Jareth, als ob er es verstehen würde. Er jedoch hatte niemals eine solche Nähe zu seiner Familie verspürt. „Was vermissen Sie noch von Ihrem Zuhause?"
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Woher genau stammen Sie, Miss Chloe?" „Aus einem kleinen Dorf namens Saint Remy im Tal der Loire. Es ist ein ganz bezaubernder Ort. So grün, mit sanften Hügeln und unzähligen Blumen - ganz wie auf einem Gemälde. Die Menschen dort sind immer freundlich und helfen sich gegenseitig."
„Hat Ihre Familie schon immer dort gelebt?"
„Ja, aber nur die Familie meines Vaters. Meine Mutter war Engländerin, wie Sie wissen, aber sie liebte das Leben in Saint Remy. Sie bereute niemals, England verlassen zu haben, nicht einen Tag. Es ist ein einfaches, gutes Leben." Sie seufzte. „Sie müssen sich nach Ihrer Heimat sehnen. Vielleicht werden Sie eines Tages
dorthin zurückkehren."
Sie sah ihn misstrauisch an. „Vielleicht."
Jareth bereute seine Bemerkung. Sie musste annehmen, er habe darauf angespielt, sie bald zu entlassen. „Ein Urlaub von ein oder zwei Wochen würde Ihnen doch sicher helfen, Ihr Heimweh etwas zu vergessen", fügte er hinzu.
Sie entspannte sich und schüttelte den Kopf. „Ich kann die Mädchen jetzt nicht verlassen. Wer wäre dann bei Rebeccah, wenn sie nachts zu schreien
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