Entscheidungen
nach meiner Hand. Doch bevor wir das Treppenhaus betraten, blieb er stehen, um mich zu küssen. Seine Lippen fühlten sich so wunderbar fest an, und ich unterdrückte den Impuls, mich an ihn zu pressen.
Gemeinsam liefen wir die Treppe zum zweiten Stock hinauf. Die Tür zur Wohnung war nur angelehnt und als Sam sie aufstieß, standen wir geradewegs in einem rotgestrichenen Flur, der schon fast ein wenig pompös wirkte. Goldene Rahmen und Spiegel hingen an den Wänden, ein Kronleuchter spendete etwas Licht und wunderschönes, altes Parkett wies uns den Weg in die anliegenden Zimmer.
"Das ist… beeindruckend", sagte ich schließlich, als ich den ersten Eindruck erst einmal verdaut hatte.
"Ja, Jona hat einen wirklich extravaganten Geschmack." Sam lächelte.
"Ist sie… da?" Ich sah mich um.
Er schüttelte den Kopf.
"Sie ist mal hier, mal dort. Ich habe keine Ahnung, wann sie zurückkommen wird."
Ich war enttäuscht. War ich nicht genau deswegen hier? Ich wollte sie sehen. Ich wollte wissen, mit wem Sam zusammenlebte, wenn er nicht bei mir war.
"Enttäuscht?" Sam schien genau zu ahnen, was in mir vorging.
"Nein… wieso?" Ich war wirklich eine schlechte Lügnerin.
"Ach, Lily." Ohne ein weiteres Wort zog er mich wieder an sich, und ich vergrub den Kopf an seiner Schulter.
"Willst du sehen, wo ich meine Sachen habe? Es sieht diesmal etwas Netter aus, als beim letzten Mal."
Ich nickte nur.
Er nahm mich mit durch eine imposante Flügeltür in ein Wohnzimmer, von dem aus eine weitere Tür in sein Zimmer führte.
Das Wohnzimmer sah aus, als hätte Ludwig der XIV. persönlich dort gehaust. Eine goldbestickte Tapete zierte die Wände und eine anmutende Chaiselongue stand am Ende des Raumes, dessen Zentrum ein riesiger Flügel schmückte.
Ich war ehrlich von den Socken.
Sam lächelte still vor sich hin, während er mich hinter sich her zog. Wir passierten einen riesigen verschnörkelten Spiegel. Es war das erste Mal, dass ich bewusst hineinsah, um uns zu sehen. Sam und mich. Doch im Spiegel gab es kein 'uns'. Es stimmte. Vampire hatten kein Spiegelbild. Diese Tatsache traf mich unvorbereitet hart. Betroffen starrte mir mein eigenes Ich entgegen. Meine dunklen Locken umspielten mein blasses Gesicht und meine vollen Lippen waren einige Millimeter breit geöffnet.
Ich sah aus wie ein staunendes Kind.
"Ja, so ist das", sagte Sam leise.
"Wieso hat sie all die Spiegel hier hängen?", flüsterte ich.
"Für sie sind es Bilder. Sie vergrößern den Raum, lassen ihn weitläufiger erscheinen. Für mich ist es… ungewohnt."
Ich nickte langsam, ohne den Blick von meinem eigenen Spiegelbild nehmen zu können. Sam stand direkt neben mir, doch der Platz war leer.
Es fiel mir schwer, mich loszureißen.
Ich spürte seine Hand in meiner und drückte sie.
"Das Gute ist, dass ich noch jede Menge Bilder von früher hab. Und da ich ja nicht älter werde…" Er versuchte zu lächeln.
"Ist doch egal. Das ist… nicht wichtig." Endlich riss ich mich los und sah ihn an. Vorsichtig hob ich eine Hand und strich ihm über die Wange. "Ich brauche dich nicht im Spiegel zu sehen, um zu wissen, dass du real bist."
Er schwieg.
"Es ist egal", wiederholte ich.
"Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt", sagte er leise.
"Dann gewöhnen wir uns zusammen daran, in Ordnung?"
Er nickte. "Das macht es leichter."
"Und jetzt will ich dein Zimmer sehen." Ich zwang mich zu einem Lächeln.
"Ist gut. Komm." Er stieß eine breite Flügeltür auf und trat zur Seite, um mich vorangehen zu lassen.
Sams Zimmer war zwar weniger pompös, doch sehr stilvoll eingerichtet. Ein großes Bett stand vor dem riesigen Fenster. Die Wände waren in einem samtigen Blauton gestrichen und ein altertümlich aussehender Schreibtisch bildete einen schönen Kontrast zum Rest der Wohnung.
"Wie lange lebt Jona schon hier?" Eigentlich kannte ich die Antwort schon.
"Sehr lange."
Ich nickte. Das hatte ich mir schon gedacht.
"Und du fühlst dich wohl?" Ich schielte zu dem Bett hinüber. Sam schlief nie, wozu also das Bett?
Ohne mir zu antworten, schob er mich auf das riesige Teil zu und drückte mich sanft hinunter. Die Matratze federte herrlich unter meinem Gewicht, und ich spürte, wie ich augenblicklich müde wurde. Es war ja auch bereits kurz nach Mitternacht.
"Ich liege hier sehr gerne und lese", flüsterte Sam, während er sich neben mich setzte, ohne jedoch meine Hand loszulassen.
Wie gebannt starrte ich in seine wunderschönen Augen.
"Oder ich denke an dich,
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