Entscheidungen
Tunnel bieten ihm Schutz. Und sie halten die Freiwilligen hier unten." Meine Worte bebten vor Aufregung.
"Freiwillige?"
"Menschen, die sich verwandeln lassen wollen und sich zur Verfügung stellen…"
"Ich kenne solche Leute. Ich habe sie gesehen", schnitt Sam mir angewidert den Satz ab.
Ich fragte nicht weiter nach. Ich wollte nicht wissen, woher Sam sie kannte.
"Lasst uns gehen."
Es war wirklich stockdunkel. Natürlich, Vampire hatten gute Augen. Sie brauchten kein Licht, um sich zurecht zu finden. Ich spürte wie die Nässe langsam in meine Schuhe kroch. Wo waren wir hier? Waren das Abwasserkanäle? Oder Fluchttunnel der Stadt? Ich hatte keine Ahnung. Fast mein ganzes Leben lang lebte ich nun schon in New York, doch kannte ich die Stadt eigentlich überhaupt?
Der Partylärm wurde allmählich leiser, je weiter wir voranschritten. Zu meiner Verwunderung, schien der Tunnel nahezu leer zu sein. Niemand stellte sich uns in den Weg, doch das Gefühl war alles andere als beunruhigend. Es fühlte sich falsch an. War das womöglich eine Falle?
"Da hinten wird der Tunnel breiter", wisperte Sam.
Jetzt sah ich es auch. Ein Licht. Es wurde allmählich heller. Ich konnte sogar schon fast meine Hände wiedersehen. Wo nur würde uns der Gang hinführen?
Meine Füße waren mittlerweile klatschnass und eiskalt. Auch die Wände waren feucht. Besonders komfortabel war es hier unten nicht. Kein Wunder, dass Raphael sich normalerweise in seinem Appartement aufhielt. Doch wie hielten die Freiwilligen das aus? Und wo waren sie? Hielten sie das für normal? Oder hatte ich nur keine Vorstellung, von dem, was wirklich hier unten passierte?
Der Gang wurde breiter, bis wir schließlich vor einer rostigen Eisentür zum Stehen kamen.
"Und was jetzt?" Vanessa drückte nervös meine Hand, und ich unterdrückte einen Schmerzensschrei.
"Wir sehen uns an, was dahinter ist", sagte Sam tonlos.
Ich spürte, dass ihm die ganze Situation ebenso wenig gefiel wie uns. Doch was hatten wir für eine Wahl?
Ich warf einen Blick zurück in den dunklen Tunnel. Die Musik war von hier aus überhaupt nicht mehr zu hören. Es war kaum vorstellbar, dass nur wenige Meter von uns entfernt, dutzende Menschen ihre Körper zu lauter Rhythmen bewegten, ohne zu wissen, welch dunkle Geheimnisse diese unterirdischen Gänge verbargen.
Sam griff nach dem Türknopf und zu unserer Überraschung ließ er sich ganz einfach öffnen.
Mit offenem Mund starrten wir in das Szenario hinter der Tür.
Der Raum war größer als ich gedacht hatte. Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte, vielleicht einen dunklen Kellerraum, vielleicht einen weiteren Gang, aber nicht das: Die Wände waren goldfarben und Rot gestrichen. Ein dicker Teppich lag auf dem Boden. Kleine Lampen erhellten das Interieur, was aus einer Chaiselongue und dicken plüschigen Sesseln bestand. Ein Bar rundete den Anblick ab. Es sah fast gemütlich aus, wären dort nicht die unzähligen Ketten gewesen, die lose von der Decke baumelten.
Zu meinem Entsetzen hing an einer von ihnen Mike. Kraftlos schaukelte sein Kopf auf seinen Schultern. Er hatte uns noch nicht bemerkt. War er ohnmächtig oder war bereits schlimmeres mit ihm passiert?
Ich schluckte schwer.
Vanessa unterdrückte einen Schrei.
"Kann ich euch helfen?"
Jetzt erst bemerkte ich den Vampir mit der Nickelbrille. Mein Magen machte einen Satz. Es war Murphy, die rechte Hand Raphaels. Murphy, der Grausame.
Ich verpasste Sam einen Stoß.
"Er ist gefährlich. Wahnsinnig gefährlich." Mir blieben die Worte regelrecht im Halse stecken.
"Wir wollten uns mal umsehen." Sam versuchte, die Ruhe zu bewahren.
"Neu hier?" Murphy trat interessiert auf ihn zu und musterte ihn über den Rand seiner Brille.
"Gerade angekommen." Er erwiderte seinen Blick fest.
"Und gleich Geschenke mitgebracht?" Murphys Blick verharrte einige Sekunden lang auf mir. Hatte er mich erkannt?
Ich senkte unvermittelt den Blick.
"Wie sich das gehört." Sam zwang sich zu einem Lächeln.
"Gut, gut. Raphael bereitet sich gerade für seinen großen Moment vor. Die dumme Meute wartet schon auf ihn. Die werden Augen machen." Murphy lachte in sich hinein.
Sam warf mir einen fragenden Blick zu.
Ich tat, als würde ich husten.
"Ein Kind. Er ist ein Kind."
"Darf ich mich umsehen?", fragte Sam.
"Natürlich. Für gewöhnlich darf allerdings niemand in die privaten Gemächer, aber heute ist ein Festtag. Da wollen wir mal nicht so sein."
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie
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