Entscheidungen
Murphy Sam nicht eine Sekunde lang aus den Augen ließ. Vanessa und ich schienen ihm vollkommen egal zu sein. Irgendetwas faszinierte ihn an Sam. Ich war mir nur nicht sicher, ob er ihm seine Rolle auch wirklich abnahm. War er dazu nicht zu intelligent? War es nicht ganz offensichtlich, dass wir uns nicht nur versehentlich hierher verlaufen hatten? Oder überschätzte ich diesen eitlen Vampir? Er sah in Vanessa und mir keine Gefahr. Wahrscheinlich würde er uns schneller kalt machen können, als ich blinzeln konnte. Kein besonders schöner Gedanke.
Doch vielleicht hatte ihm ja das viele frische Blut hier unten das Hirn vernebelt.
"Raphael empfängt normalerweise keine Fremden", fuhr er fort, während er Sam weiterhin nicht aus den Augen ließ.
Ich sah zu Mike hinüber. Glücklicherweise schien er zu mitgenommen zu sein, um uns zu erkennen. Ein falsches Wort von seiner Seite aus, könnte uns von einer Sekunde zur anderen gänzlich enttarnen.
"Ich habe schon viel von ihm gehört. Sein Ruf eilt ihm auch über die Landesgrenzen hinweg hinaus." Sam fuhr mit der Hand über die Lehne der Chaiselongue und machte einige Schritte in den Raum hinein.
"Wo kommen Sie her?", fragte Murphy interessiert.
"Mal hierher, mal dorther. Ich bin auf der Jagd." Sam wandte den Kopf und musterte Murphy. Er sah überlegen aus und für den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich, ob ich ihn eigentlich wirklich kannte?
"Auf der Jagd?" Interessiert nahm Murphy die Brille ab.
"Der Hunter. Er steht auf meiner Liste."
"Oh, eine Liste." Murphy grinste versonnen. "Sie sind ein Kopfgeldjäger?"
"Ich arbeite für diverse Auftraggeber", sagte Sam ausweichend.
"Erstklassig. Der Hunter würde mich auch interessieren."
"Er hat meine Cousine auf dem Gewissen. Familie eben." Sam zuckte die Schultern. Er wirkte kühl, fast ein wenig distanziert.
Murphy nickte verständnisvoll.
Schaudernd dachte ich an Ashley.
"Und die hier?" Murphy deutete auf Vanessa und mich.
"Hab ich draußen gefunden." Sam grinste breit.
Vanessas Augen waren tellergroß, als sie mich ansah. Sie zitterte unkontrolliert, und ich versuchte sie, durch das Drücken ihrer Hand zu beruhigen. Doch wie sollte ich das tun, wenn ich selbst vor Angst wie gelähmt war? Wir saßen in der Falle. Wie sollten wir hier jemals wieder herauskommen, wenn Murphy uns den Weg versperrte?
"Die Lockige find ich ganz nett." Murphy machte einen Schritt auf mich zu. Seine kalten Finger strichen über mein Gesicht.
"Aber die sind beide für Raphael", sagte Sam entschieden.
"Ja, ich würde sie ihm ganz sicher nicht wegnehmen. Man sollte sich nicht mit ihm anlegen. So viel Ärger sind die beiden ganz sicher nicht wert, wo wir vorne ja eh genug für alle haben."
"Wann geht es denn los?"
"Mitternacht. Ganz klassisch eben. Manchmal erfüllen wir eben doch gerne Erwartungen."
"Also in zehn Minuten." Sam klang unbeteiligt, doch ich sah, wie es hinter seiner Stirn ratterte.
"Wir sollten vorgehen, wenn wir das Spektakel nicht verpassen wollen."
"Was ich nicht verstehe, wie oft finden diese Partys eigentlich statt?" Sam versuchte Zeit zu schinden.
"Nie. Das ist das erste Mal. Normalerweise arbeiten wir mit Freiwilligen . Daran mangelte es uns bisher eigentlich auch nie. In letzter Zeit sind aber unverhältnismäßig viele verschwunden." Murphy machte eine Pause, und ich musste an Xander denken. Er hatte sie befreit. Er hatte ihr Leben gerettet, doch um welchen Preis?
Hatte Murphy ihn im Verdacht?
"Unsere Leute sind ausgetrocknet. Wir müssen sie davon abhalten, die Menschen auf der Straße anzugreifen, das ist zu gefährlich. Das fällt auf und macht sie nur unnötig auf uns aufmerksam. Aber eine Party, die außer Kontrolle gerät… ein tragischer Unfall." Murphy lachte boshaft. "Davon liest man doch ständig in der Zeitung. Niemand würde auf die Idee kommen, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte."
Ich spürte wie meine Knie weich wurden. Alles war bis ins kleinste Detail geplant. Niemand würde Verdacht schöpfen. Die Vorstellung war grausam.
Ein lauter Schrei hallte mit einem Mal zu uns hinüber.
"Was ist da los?" Murphy trat auf die Metalltür zu und öffnete sie, um einen Blick in den Tunnel hinein zu werfen.
"Vielleicht fangen sie früher an?" Sam trat neben ihn und warf mir einen bedeutungsschwangeren Blick zu.
"Nein, das kann nicht sein. Das ist… falsch." Murphy sah auf die große imposante Uhr über dem Eingang. Es war fünf vor zwölf.
Wieder waren
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