Entschuldigen Sie Meine Stoerung
beugt sich über den Tisch und greift mir mit beiden Händen an den Hals. Er drückt sanft zu.
»Was machen Sie da?«, erkundige ich mich neugierig.
»Ich würge Sie«, antwortet er.
»Das habe ich vermutet. Und warum?«
»Ich habe keine Wahl, ich laufe Amok.«
»Ohne Waffen?«
»Das nächste Mal frage ich den Herrn, welche Waffe ihm genehm ist«, entgegnet er ironisch. »Sie werden das nicht wissen, Herr Fitz, aber ein Amoklauf ist irrational und spontan. Wenn man im Moment des Ausbruchs keine Waffe zur Hand hat, muss man eben improvisieren.«
»Wie gut, dass das Besteck noch nicht auf dem Tisch liegt.«
»Für Sie. Für mich wäre es eine große Hilfe.«
»Sie klingen sehr erfahren. Sind Sie schon häufiger Amok gelaufen?«
»Nein, zum ersten Mal. Finden Sie, ich mache das gut?«
»Ja. Aber was mich noch interessieren würde: Man hat ja nicht immer die Chance, einen Amokläufer nach seinen Motiven zu befragen. Also: Spielen Sie viele Computerspiele?«
»Gar nicht.«
»Dann kann das nicht der Grund sein.«
»Nein, ich gebe der Gesellschaft die Schuld. Zu viele Menschen, die in meiner Gegenwart laut telefonieren zum Beispiel.«
»Das ist ein Motiv. Aber sagen Sie: Müssten Sie nicht vielleicht etwas fester zudrücken? Damit ich keine Luft mehr bekomme?«
»Sie bekommen noch Luft?«
»O ja. Hören Sie mal.«
Ich atme tief ein und aus wie ein Patient, der von seinem Arzt mit dem Stethoskop abgehört wird.
»Sie erstaunen mich, Sie zäher Hund. Dann sollte ich tatsächlich noch stärker zudrücken.« Herr Menke wirkt leicht verunsichert. »Wenn Sie am Ende nicht tot sind, ist so ein Amoklauf ja auch blöd.«
Er drückt nun tatsächlich etwas fester zu.
»Und? Jetzt besser?«
»Joh, etwas«, presse ich angestrengt hervor, weil er tatsächlich stärker zudrückt. »Aber sagen Sie mal, darf ich mich als Opfer eigentlich wehren, oder gibt es Amoklaufkonventionen, die ich zu beachten habe?«
»Nein, das hängt vom Be-Amokten ab. Das muss jeder für sich entscheiden.«
»Verstehe ich Sie also recht: Ich dürfte mich wehren, wenn ich am Leben hinge?«
»Was haben Sie denn vor?«
»Ihnen in die Klöten treten.«
»Nein, Sie dürfen sich nicht wehren.«
Er drückt, und ich blicke aus dem Fenster. Nach einigen Minuten frage ich: »Brauchen Sie noch lange?«
»Das werden Sie schon merken. Seien Sie mal nicht so ungeduldig.«
»Ich frage nur, weil Ihr Essen da ist.«
Ich deute mit dem Kopf nach links. Der Kellner ist soeben an unseren Tisch getreten und hält unentschlossen einen Teller Chili in der Hand.
»Machen Sie mal Platz auf’m Tisch«, raunzt er uns an.
»Einen Augenblick, bitte. Ich laufe gerade Amok, ja?«, weist ihn mein Peiniger zurecht und hebt dann umständlich seine Arme, während seine Hände weiter meinen Hals umfassen. Der Kellner stellt den Teller auf den Tisch. Der Amokläufer bedankt sich höflich.
»Bleibt Ihnen denn mittlerweile die Luft weg?«, fragt er mich.
»Nicht so sehr, dass ich ersticken würde, bevor wir Kassel-Wilhelmshöhe erreichen.«
»Oh, das ist erst in zwei Stunden.«
»Wenn der Zug keine Verspätung hat«, belehre ich ihn.
»Ihnen bleibt so lange nicht die Luft weg, bis wir Kassel-Wilhelmshöhe erreichen? Egal, wie lange das dauert?«
»Ja, ich bin sehr ehrgeizig.«
Das ist natürlich gelogen: Ich bin überhaupt nicht ehrgeizig. Ich schaffe nie, was ich mir vornehme. Aber das geht Herrn Menke ja nichts an. Ist privat.
»Aber fester zudrücken kann ich nicht«, jammert der Amokläufer.
»Jetzt rächt sich, dass Sie keine Waffe dabeihaben, was?«
»Sie könnten mich aber auch mal ein bisschen unterstützen. Zum Beispiel, indem sie mit zudrücken. Vier Hände drücken stärker als zwei.«
»Vergessen Sie’s! Da müssen Sie jetzt allein durch. Ich helfe Ihnen doch nicht dabei, mich umzubringen.«
»Vielleicht könnten Sie die Luft anhalten?«
»Ich denke gar nicht daran!«
Der Duft des Chilis, das vor Herrn Menke steht, steigt mir in die Nase. Ich bekomme Hunger.
»Wissen Sie, was ich jetzt mache? Ich esse Ihr Chili, während Sie mich würgen«, drohe ich ihm.
»Boah, Sie sind so gemein! Ich kann Sie nicht einmal davon abhalten, weil ich keine Hand freihabe.«
Ich greife nach dem Löffel am Rand seines Tellers, tauche ihn in das Chili, puste und führe ihn zu meinem Mund.
»Hmmmmm, lecker«, schwärme ich.
»Lassen Sie das. Das ist mein Essen.«
»Mjam, mjam«, streue ich Chiliwürze in seine Wunden (metaphorisch gemeint).
»Und lassen Sie
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