Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Ihnen.«
Stimmt eigentlich, warum freundlich Hallo sagen, wenn man auch schon im Erstkontakt seine bedingungslose Ablehnung ausdrücken kann? Dennoch suche ich instinktiv in seinem Gesicht nach einem Hinweis auf Ironie. Irgendetwas, aus dem ich schließen könnte: Das hat er jetzt nicht so gemeint.
Aber ich finde nichts. Kein Augenzwinkern, kein Lächeln, kein verräterisches Zucken. Stattdessen greift er stumm zur Speisekarte. Ich starre ihn weiter verblüfft an. Er bemerkt es anscheinend, blickt von der Speisekarte auf und verdreht die Augen. Ihm entfährt ein genervtes Stöhnen. Dann vertieft er sich wieder in die Speisekarte.
Eines müssen Sie wissen, lieber Leser: Ich käme nie auf die Idee, einen Fremden anzusprechen. Ich rede prinzipiell nicht gern mit fremden Menschen, genauso wenig wie mit Freunden, und erst recht rede ich nicht gern mit Verwandten. Wenn überhaupt, wechsle ich ab und zu mal ein paar Worte mit mir selbst. Aber eine Frage muss ich meinem Tischnachbarn jetzt doch stellen:
»Haben Sie gerade wegen mir genervt die Augen verdreht und gestöhnt?«
Als sei ihm der Blitz in die Glieder gefahren, fährt der Herr zusammen. »O Gott! Habe ich das?«, fragt er erschrocken, und seine Überraschung wirkt echt. »Dann entschuldigen Sie bitte vielmals. Das wollte ich nicht. Wirklich nicht. Ich habe mich manchmal einfach nicht im Griff. Wenn ich einen anderen Menschen verachte, zeige ich ihm das immer eine Spur zu deutlich. Ich bin da unmöglich.«
Gut, das ist eine Erklärung. Aber sie stellt mich noch nicht richtig zufrieden. Zumal mich dieses »eine Spur zu deutlich« noch beschäftigt.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch«, fährt er fort. »Ich habe nichts gegen Sie persönlich …« Dann hält er inne und verbessert sich: »Also natürlich habe ich etwas gegen Sie, so ist das nicht, aber ich habe prinzipiell gegen alle Menschen etwas. Nehmen Sie es also bitte nicht persönlich. Ich hätte bei jedem anderen auch die Augen verdreht und genervt aufgestöhnt.«
»Sie haben etwas gegen mich persönlich, aber ich soll es nicht persönlich nehmen«, fasse ich seine Erklärung noch einmal laut, aber mehr für mich, zusammen.
»Genau. Ich lehne Sie jetzt nicht stärker ab als zum Beispiel …« – sein Blick streift umher und bleibt an den zwei Geschäftsreisenden in Anzug und Krawatte hängen, die auf der anderen Seite des Gangs ihr Mittagessen einnehmen – »… die beiden Herren am Nebentisch.«
Die beiden Herren haben das gehört und erstarren.
Ich lächle sie beschwichtigend an und zeige auf mein Gegenüber:
»Äh … Er hat das gesagt«, stelle ich lieber mal zur Sicherheit klar. »Er hat etwas gegen Sie. Ich nicht. Ich gehöre gar nicht zu ihm. Er hat sich einfach an meinen Tisch gesetzt. Ich selbst bin sanft wie ein Lamm und voller Respekt für Sie.«
Gut, das klang jetzt erbärmlich anbiedernd, aber mir scheint es angeraten, mich von dem Herrn an meinem Tisch zu distanzieren und nicht mit ihm in einen Topf geworfen zu werden.
Es entsteht ein ungemütlicher Moment des Schweigens, und ich fühle mich verpflichtet, weiter zwischen den beiden Parteien zu moderieren. Ich wende mich an den Herrn an meinem Tisch und flüstere ihm zu: »Ich glaube, die beiden hätten gern eine Erklärung von Ihnen.«
»Also, auch gegen Sie persönlich habe ich nichts, meine Herren«, entschuldigt sich mein Tischgenosse. »Mich nerven Menschen im Allgemeinen. Und zwar alle. Aber essen Sie ruhig weiter. Sie werden nichts von meinem Menschenhass spüren. Ich kann mich unheimlich gut zurückhalten.«
Die beiden Geschäftsreisenden sehen den Herrn stumm an, beschließen dann, uns einfach zu ignorieren, und widmen sich wieder ihrem Essen.
»Sie machen sich ja kein Bild davon, wie sehr ich Menschen hasse«, wendet sich der Herr wieder an mich. »Wie die Pest! Und zwar alle. Ohne Unterschiede. Leider kann ich nicht anders, als die Menschen um mich herum das auch deutlich spüren zu lassen. Warum soll ich aus meiner Abneigung ein Geheimnis machen? Nur weil mir noch niemand etwas getan hat? Ich darf ja wohl noch sagen, dass ich überhaupt nichts von Ihnen halte. Das Einzige, was ich lobend anmerken muss, mein Herr: Sie riechen nicht so unangenehm wie viele andere Menschen.«
»Danke für das Kompliment«, entgegne ich artig.
»Freuen Sie sich mal nicht zu früh. Vielleicht riechen Sie ja doch unangenehm. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das überprüfe? Nicht dass ich am Ende unseres Gesprächs
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