Entschuldigen Sie Meine Stoerung
sich anders.«
»Ich kann auch anders. Ich kann mich gerne benehmen wie ein Mensch ohne Identität.«
»Gehen Sie jetzt.«
Mein Gott, ich stecke mitten in einem Psychoduell, wie man es sonst nur aus Hollywood-Thrillern kennt. Das Leben imitiert die Kunst. Und ich bin live dabei. Wer von uns beiden knickt zuerst ein? Wer macht den ersten Fehler? Ich habe in meinem Leben schon viele Psychoduelle gekämpft. Und immer verloren. Meine Nerven haben nie mitgespielt, und oft bin ich nach drei Sekunden Psychoduell weinend zusammengebrochen. Diesmal aber spüre ich ungeahnte Kräfte in mir. Schließlich geht es um das Großartigste, was ich mir vorstellen kann: den Aufenthalt in einer privaten Klinik! Da wachse ich über mich hinaus. Von dieser Empfangsdame lasse ich mich nicht aufhalten!
»Sie wollen mir allen Ernstes nicht helfen? Obwohl ich nicht weiß, wie ich heiße, und total durcheinander bin? Ich werde mich beschweren. Ich möchte den Chef der Klinik sprechen, junger Mann.«
Auf das »junger Mann« bin ich ein bisschen stolz. Die Runde geht klar an mich.
»Wie Sie möchten. Ich rufe den Chefarzt. Soll der sich doch mit Ihnen auseinandersetzen.«
Sie hebt den Hörer ihres Telefons ab, wählt eine dreistellige Nummer und wartet. Dabei schaut sie mich genervt an. Ich halte ihrem Blick stand und blicke ebenso genervt zurück. Wenn mich jemand genervt anguckt, gucke ich mindestens so genervt zurück. Da kenne ich nichts.
»Ja, hier ist der Empfang«, spricht die Dame in ihr Telefon. »Hier steht ein angeblich gestörter Mann und möchte aufgenommen werden … Nein, hat er nicht … Er behauptet, er weiß nicht, wer er ist, und nennt mich ›junger Mann‹ … Ja, natürlich bin ich eine Frau. Nein, ich zeige Ihnen nicht meine Mu… Die kennen Sie doch außerdem schon … Was? Ach, so, der Hausmeister, ja, sorry … Ich kann mich nur noch an einen Kittel erinnern … OK , ich wimmele ihn geschickt ab.«
Sie hängt ein, sieht mich an und fasst den Inhalt ihres Telefonats wie folgt zusammen: »Der Arzt meint auch: Verpissen Sie sich.«
Nicht nachgeben, Jan-Uwe, jetzt nicht nachgeben. Gegenangriff:
»Reden Sie mit allen Patienten so?«
»Nein, nur mit Ihnen.«
»Dann bin ich ja beruhigt. Sonst hätte ich das getwittert und gefacebookt. Das hätte Ihrer Online-Reputation mächtig geschadet, das kann ich Ihnen sagen.«
»Wie viele Follower haben Sie denn?«
»Keinen. Aber das kann sich ja noch ändern.«
»Würden Sie jetzt bitte gehen?«
»Aber ich bin ein Notfall. Ich brauche erste Hilfe. Ich weiß nicht, was ich mir oder anderen antun werde, wenn Sie mich wegschicken. Wollen Sie das verantworten?«
»Ja«, entgegnet sie ungerührt. »Die Klinik wird abstreiten, dass Sie je hier waren.«
»Es gibt Videobänder, auf denen zu sehen ist, dass ich mit Ihnen rede.« Ich zeige auf die Videokamera, die an der Decke hängt. »Kopien davon habe ich bereits bei meinem Rechtsanwalt hinterlegt. Sie werden veröffentlicht, falls mir etwas zustoßen sollte.«
»Sie haben schon kopiert, was gerade erst passiert?«
»Mein Anwalt hat einen Livestream.«
»Aber nicht von unserer Überwachungskamera.«
»Sie haben recht, da hakt meine Story.«
»Nichts wird darauf hinweisen, dass Sie je hier waren.«
»Und wenn ich mit Edding an die Wand schreibe: ›Jan-Uwe Fitz was here‹?«
»Dann ist das erstens blöd, weil wir wissen, dass Sie Ihren Namen doch noch kennen. Und zweitens überstreichen wir den Hinweis einfach.«
Ich denke nach. Verzichte aber diesmal darauf, meinen Zeigefinger auf die Lippen zu legen. Spart Zeit. Die Empfangsdame unterbricht meine Gedanken: »Gehen Sie woanders hin, wenn Sie geheilt werden möchten. Ich glaube Ihnen kein Wort. Unsere Klinik liegt abgeschottet von jeglicher Zivilisation in einem einsamen Waldstück. Und da fühlen Sie sich ausgerechnet in dem Moment psychisch krank, als Sie hier vorbeikommen?«
»Ich kann mir den Moment meines Durchdrehens leider nicht aussuchen, junge Frau«, entgegne ich beleidigt. »Was würden Sie denn tun, wenn Sie an einer Klinik vorbeilaufen und gerade in diesem Moment merken: Huch! Ich habe einen Burn-out.«
»In die Klinik gehen und um Hilfe bitten.« Sie starrt mich erschrocken an. »Scheiße. Ich bin in Ihre Falle getappt.« Doch ich zeige Größe, triumphiere jetzt nicht und nutze meine plötzlich starke Position nicht aus. Unheimlich anständig von mir.
»Was kann ich denn tun, damit Sie glauben, dass ich wahnsinnig bin?«
»Essen Sie meinen
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