ENTSEELT
gerade«, erklärte er. »Ich glaube nicht, dass er tot ist!«
»Sie nicht glauben ...?« Die Kinnlade des Arztes klappte herunter. »Aber das ich wissen sicher. Der Herr ist bestimmt tot!«
»Untot.« Harry sah aus, als würde er jeden Moment ohnmächtig.
Sandra riss die Augen weit auf. Darum ging es also. Aber Harry war durch die Situation überrascht worden und hatte mehr gesagt, als er hatte sagen wollen. »Das ist ... das ist ein englischer Ausdruck!«, fiel sie hastig ein. »Untot: Nicht tot, sondern nur von uns gegangen. Alte Freunde – sie gehen einfach nur von uns. Das hat er gemeint. Ken ist nicht tot, sondern in Gottes Hand.«
Oder in der des Teufels!, fügte Harry still hinzu. Aber er hatte sich wieder gefangen und war froh, dass sie ihm zu Hilfe gekommen war.
Auch Darcys Gedanken rasten. »Layard ist Mitglied einer speziellen Religionsgemeinschaft. Deren Religion fordert, dass er verbrannt werden muss. Und das muss innerhalb eines Tages nach seinem Tod geschehen. Harry will nur dafür sorgen, dass alles so geschieht, wie Ken es verfügt hat.«
»Aha!« Manolis Papastamos war sich zwar nicht sicher, aber er glaubte, zumindest ansatzweise zu verstehen. »Dann muss ich mich entschuldigen. Es tut mir leid, Harry.«
»Es ist schon okay. Können wir jetzt zu Trevor Jordan?«
»Ja, sofort. Die psychiatrische Anstalt ist in der Altstadt, hinter den alten Kreuzfahreranlagen. An der Pythagoras-Straße. Sie wird von Nonnen geleitet.«
Sie nahmen wieder das Taxi und kamen zwanzig Minuten später an ihrem Ziel an. Inzwischen dämmerte es, und eine Brise vom Meer brachte Kühlung nach der Hitze des Tages. Während der Fahrt hatte Darcy eine Bitte an Papastamos. »Kannst du uns ein Quartier besorgen? Ein ordentliches Hotel?«
»Ich weiß sogar etwas Besseres. Die Touristensaison hat noch nicht begonnen, und die meisten Ferienhäuser stehen leer. Ich habe euch eine Unterkunft besorgt, sobald ich erfahren habe, dass ihr auf dem Weg seid. Nachdem ihr den armen Trevor gesehen habt, werden wir gleich dahin fahren.«
Bei der Anstalt mussten sie warten, bis eine Schwester des Ordens von Rhodos abkömmlich war, um sie zu Jordans Zelle zu geleiten. Er war in eine Zwangsjacke geschnallt und saß in einem lang gestreckten Lederstuhl mit hohen Seitenteilen. Seine Füße befanden sich ein paar Zentimeter über dem Boden. In dieser Stellung konnte er sich nicht verletzen, aber zurzeit schien er sowieso zu schlafen. Papastamos übersetzte, während die Schwester ihnen erklärte, dass Jordan in regelmäßigen Abständen ein leichtes Betäubungsmittel erhielt. Nicht, weil er gewalttätig war, sondern weil er unter Angstzuständen zu leiden schien.
»Sag ihr, sie kann uns mit ihm allein lassen«, erklärte Harry dem Griechen. »Wir werden nicht lange bleiben, und wir wissen, wo es wieder hinaus geht.« Und als Papastamos das getan hatte und die Schwester gegangen war, fügte er hinzu: »Würdest du uns dann auch allein lassen, Manolis?«
»Was?«
Darcy legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bitte, Manolis, sei so gut und warte draußen auf uns. Glaub mir, wir wissen, was wir tun.«
Der andere zuckte säuerlich mit den Achseln, tat aber, wie ihm geheißen.
Darcy und Harry blickten zu Sandra. »Fühlst du dich stark genug dafür?«, fragte Darcy.
Sie war nervös, gab sich dann aber einen Ruck. »Es sollte nicht sehr schwer sein. Wir funktionieren auf die gleiche Weise. Ich habe oft mit Trevor geübt und kenne den Weg hinein.« Aber es war, als wollte sie nicht so sehr die anderen überzeugen, sondern sich selbst Mut machen. Sie stellte sich hinter Jordan und legte die Hände auf die Lehne seines Stuhls, während die letzten Sonnenstrahlen in den winzigen, hoch angesetzten Butzenscheiben der Zelle verglommen.
Sandra schloss die Augen, und Stille breitete sich aus. Jordan war in seinem Stuhl festgeschnallt; seine Brust hob und senkte sich, die Augenlider flatterten, während er träumte oder den Gedanken nachhing, die ihm so zusetzten. Auch seine linke Hand, die an seinen Schenkel geschnallt war, zitterte. Harry und Darcy sahen zu, und sie bemerkten auch die voranschreitende Dämmerung, das nachlassende Licht ...
Und ohne Vorwarnung war Sandra plötzlich drin!
Sie warf einen Blick hinein, sah etwas, stieß einen unartikulierten Schrei aus und stolperte weg von Jordans Stuhl, bis die Wand hinter ihr sie aufhielt. Jordans Augen klappten auf, als wäre ein Vorhang weggezogen worden. In ihnen spiegelte sich die blanke Angst!
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