ENTSEELT
eigenen ESP-Abteilungen aufgebaut haben? Das wäre doch möglich, oder?«
»Das glaube ich nicht«, meinte Harry. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ESPer nicht für andere Leute arbeiten.«
Darcy konnte ihm nicht ganz folgen. »Aber das tun wir doch alle. Ken, Trevor, Sandra, ich selbst. Sogar du vor geraumer Zeit.«
»Sie arbeiten für ein bestimmtes Ziel, für eine Idee, für ein Land, oder auch, um sich zu rächen. Aber nicht, um jemand anderem einen Profit zu verschaffen. Würdest du so etwas tun, wenn du so mächtig wärst wie der, den Sandra gespürt hat? Würdest du deine Fähigkeiten an eine Bande von Schlägern verkaufen, die dich eliminieren, wenn sie beginnen, dich zu fürchten? Und das würde nicht lange dauern.«
»Und was war mit Ivan Gerenko, der ...?«
»Der war irre, größenwahnsinnig! Nein, sogar der Nekromant Dragosani strebte nach einem Ideal, nämlich nach der Wiederherstellung der alten Walachei. Zumindest so lange, bis sein Vampir völlig die Kontrolle über ihn übernahm. Überleg doch mal: Wie viele Leute wissen von deinem Talent, Darcy? Und, Sandra, wie viele Leute wissen, dass du telepathisch begabt bist? Sogar ich weiß das erst seit ein paar Stunden. Du läufst nicht herum und bindest es allen auf die Nase, nicht wahr? Glaubt mir, die Leute, die allen anderen von ihren Fähigkeiten erzählen, sind die Schwindler. Medien und Löffelverbieger, Mystiker und Gurus, das sind alles Hochstapler.«
Darcy schnaubte verächtlich. »Und du willst wirklich behaupten, dass wir ESPer alle zu den Guten gehören?«
»Natürlich nicht.« Harry schüttelte den Kopf. »Nein, denn es gibt eine Menge Bosheit in der Welt und auch unter den ESPern. Aber denk doch mal nach. Wenn du böse bist und eine spezielle Fertigkeit beherrschst, warum solltest du sie jemand anderem zur Verfügung stellen? Würdest du sie nicht selbst benutzen, heimlich, um Macht zu erlangen?«
»Ehrlich gesagt habe ich mich schon oft gefragt, warum sie das nicht tun. Ich meine die Leute im E-Dezernat«, gab Darcy zu.
»Ganz bestimmt tun das einige. Nicht die im E-Dezernat, aber andere Leute, von denen wir nichts wissen. Es muss viele Begabte auf der Welt geben, die noch nicht entdeckt worden sind. Woher wissen wir, dass dieser sogenannte ›Geschäftssinn‹ nicht auch nur eine ESP-Begabung ist? Hat der Mann da seine Million gemacht, weil er ein gutes Händchen für Geschäfte hat, oder weil eine paranormale Gabe seine Hand gelenkt hat? Etwas, von dem er selbst vielleicht gar nichts weiß? Ist der Kriegsheld wirklich so tapfer, wie wir glauben, oder hat er – so wie du, Darcy oder wie Ivan Gerenko – einen Schutzengel, der über ihn wacht? Wusstest du, dass die Spielcasinos Listen über Leute führen, die keinen Zutritt haben, professionelle Spieler mit einer unglaublichen Glückssträhne, und dass einige von denen steinreich sind?«
»Das ist ja alles schön und gut, aber es ist immer noch kein Beweis dafür, dass wir es hier mit einem Vampir zu tun haben.«
»Nein, einen richtigen Beweis haben wir noch nicht. Aber eine Menge von Indizien. Sie sind vielleicht alle für sich genommen nicht aussagekräftig, aber zusammen ergibt sich da schon ein Bild.«
»Als da wäre?«, fiel Sandra ein.
Leicht genervt drehte er sich zu ihr um. »Sandra, du bist einem Vampir noch nie näher gekommen als damals, als du meine Akte gelesen hast. Ich gehe doch davon aus, dass du sie gelesen hast? Das ist ein Pflichttext im E-Dezernat, eine Warnung vor dem ›nächsten Mal‹. Ich weiß, wovon ich rede, und Darcy tut das auch. Also, ich möchte dich nicht kränken, aber ich glaube, es ist das Beste, wenn du einfach nur still dasitzt und zuhörst. Gerade du, denn noch wissen wir nicht sicher, ob er – wer er auch sein mag – dich nicht ebenfalls bemerkt hat, als du ihn in Trevors Verstand gesehen hast.«
Sie schnappte erschrocken nach Luft und fuhr auf. Harry griff über den Tisch und tätschelte ihre Hand. »Entschuldige bitte, aber vielleicht verstehst du jetzt, was mir Sorgen macht. Wenigstens zum Teil. Ich war schon in so einer, oder doch wenigstens einer ähnlichen, Situation. Aber du? Verdammt, ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert.«
Darcy kam auf den Punkt zurück. »Sagtest du nicht etwas von Indizien?«
Bevor Harry antworten konnte, erschien ein Kellner, um die Bestellung aufzunehmen. Darcy bestellte ein komplettes Menü, Sandra einen Salat und ein Dessert, aber Harry bestellte nur ein wenig Hühnchen und viel
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