ENTSEELT
zu folgen, über das du so bissig und misstrauisch redest.
»Ah. Nun bittest du mich also. Aber ich frage mich immer noch: Was hast du davon?«
Auch dieses Gespräch haben wir doch schon geführt. Na gut, wenn ich mich denn wiederholen muss: Dieser Spross meiner Lenden – das Produkt meiner menschlichen Seite, Janos – geht wieder in der Welt der Menschen um, und das ertrage ich nicht! Als Thibor versucht hat, sich wieder zu erheben, wer ist dir da zu Hilfe gekommen und hat dich unterstützt, um ihn niederzuzwingen? Ich war das, denn ich habe diesen Schweinehund gehasst! Und jetzt ist Janos dran. Du fragst, was ich davon habe? Nun, wenn du ihm den Todesstoß versetzt, vielleicht könntest du mir den Gefallen tun, ihm zu sagen, dass sein Vater dir geholfen hat, der gerade in diesem Augenblick in seinem Grab lacht. Das wird mir Belohnung genug sein .
»Was?« Harry sprach und dachte sehr langsam und sorgfältig. »Aber das wäre doch ganz bestimmt eine Lüge, denn nichts von dir liegt in irgendeinem Grab. Du bist in dem Feuer verbrannt, das dein Haus zerstört hat, stimmt’s?«
Du weißt doch, dass es so war, stieß der Vampir hervor. Aber ich bin trotzdem hier, wenn man so will, denn wie könnte ich sonst mit dir reden? Es ist mein Geist, meine Seele, das Echo einer Stimme, die längst vergangen ist, was du da hörst. Es ist dein Talent, deine Fähigkeit, mit den Toten zu sprechen, und das sollte schon Beweis genug dafür sein, dass ich der Vergangenheit angehöre.
Harry schwieg eine Weile. Er wusste, dass ihm nichts geschenkt werden würde. Er würde nichts bekommen, wenn er nicht bereit war, zuerst etwas zu geben. Faethor drängte, er bestand darauf, dass seine Regeln bei jedwedem Handel, den sie hier abschlossen, gelten mussten. Und es war klar, dass der Vampir sich schließlich durchsetzen würde, denn ohne ihn war Harrys Mission von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er dachte darüber nach, versuchte aber gleichzeitig, seine Gedanken vor Faethor verborgen zu halten.
Ah! Jetzt begreife ich!, rief der Vampir schließlich aus. Du hast Angst vor mir, Harry Keogh! Vor mir, einem Etwas, das seit langer Zeit tot ist, verbrannt und zerschmolzen in einem Inferno! Aber warum nur? Was ist jetzt anders? Wir kennen uns doch. Das ist doch nicht das erste Mal, dass wir zusammentreffen, um uns zu verbünden.
»Nein. Aber es ist auf jeden Fall das erste Mal, dass ich dich zum Bettgenossen habe. Ich bin schon früher hier gewesen, aber da war ich wach. Und ansonsten habe ich mit dir nur über große Entfernungen gesprochen und auch da mit der Totensprache und immer zu Zeiten, wo das für mich nicht gefährlich sein konnte. Und wenn ich eines über Vampire gelernt habe, Faethor, dann das: Wenn sie am verwundbarsten scheinen, dann sind sie am gefährlichsten!«
Wir drehen uns im Kreis, und das führt zu nichts , meinte der Vampir fast verzweifelt. Aber auch wenn er jetzt ein gewisses Desinteresse vorspielte, war sich Harry doch ziemlich sicher, dass er in diesem Punkt nicht von seinem Ansinnen abweichen würde. Und das bedeutete, dass nur Harry selbst dieses Patt aufheben konnte.
»Also gut, einer von uns muss ja wohl nachgeben. Vielleicht bin ich ein Idiot, aber ... ja, ich bin aus eigenem Willen gekommen!«
Gut!, knurrte der Vampir sofort, und Harry konnte beinahe sehen, wie er zufrieden mit den Lippen schmatzte. Eine sehr kluge und hilfreiche Entscheidung. Warum auch nicht? Wenn ich deine Sitten und Gebräuche akzeptiere, warum solltest du dann die meinen nicht auch beachten?
Diese Kreaturen legten Wert darauf zu gewinnen, selbst wenn es nur um etwas so Belangloses wie ein Streitgespräch ging. Vielleicht hatte das auch sein Gutes, denn jetzt ließ sich Faethor möglicherweise eher dazu bewegen, in einem anderen Punkt nachzugeben.
Und dann, als habe er Harrys Gedanken gelesen, sagte Faethor: Nun, dann können wir jetzt auch auf der gleichen Stufe miteinander reden. Du wolltest von Angesicht zu Angesicht mit mir sprechen? So sei es.
Bisher war der Traum trübe, grau und öde gewesen, ein Ort ohne Substanz, an dem nur Gedanken ausgetauscht wurden. Aber jetzt wurde das Grau von einem schwachen Wirbel erfasst, löste sich rapide auf und gab eine nebelbedeckte Ebene unter einem schmalen, sichelförmigen Mond frei. Harry saß auf einer verfallenen Mauer, und seine Beine baumelten in dem Bodennebel, der bis zu seinen Knöcheln reichte. Faethor saß auf einem Trümmerhaufen, eine dunkle Gestalt in einer alles
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