ENTSEELT
Problem: Ist es eine echte und zuverlässige Sicht auf die Zukunft, oder ist es doch nur ein Traum? Um meine Erkenntnisse zu bestätigen und vielleicht auch, weil ich offenkundig verliebt war, verbrannte ich daher Nacht für Nacht meine Kräuter und versenkte mich in prophetische Träume. Sie waren immer gleich und änderten sich nur dergestalt, dass wir, Marilena und ich, uns immer besser kennenlernten, unser Liebesspiel immer leidenschaftlicher wurde und ich mich immer mehr in diese Liebe verrannte, bis mir klar wurde, dass ich statt des bloßen Traumes die reale Person haben musste, oder ich würde den Verstand verlieren. Und da kam sie zu mir, in Fleisch und Blut.
Sie gehörte zur Sippe von Grigor Zirra, der sich selbst »König« Zirra nannte. Marilena war Zirras Tochter. Ich hatte also recht gehabt: Sie war eine »Prinzessin« des Fahrenden Volkes.
Als sie zu mir kamen, am Ende des Januars, herrschte der Winter, und ich konnte mich nicht erinnern, dass es in all den Jahren je so kalt gewesen wäre. Meine eigenen Szgany hatten ihre Wagen und Karren dicht an den Mauern meiner Burg zusammengeschoben und aus dem Schnee dicke Eiswälle um sie herum errichtet. Im Inneren dieser Konstruktionen hatten sie ihre Zelte aufgeschlagen und ihr Vieh darin angebunden, um deren Wärme auszunutzen. Ja, sie kannten sich aus, und sie hatten bereits im Voraus gewusst, dass es ein harter Winter werden würde. Sie hatten lange und hart in den umliegenden Höhlen gearbeitet und dort Futter für die Tiere gelagert. Und trotzdem wären sie und ihre Tiere wohl kaum durch diesen Winter gekommen, wenn sie sich nicht auf den Schutz ihres Bojaren in seinem Schloss hätten verlassen können.
Ich hatte ihnen all meine Türen geöffnet, und alle meine Hallen wurden durch Feuer erwärmt. Branntwein und die trockenen roten Weine standen für sie bereit, wenn sie darum baten, genauso wie das Getreide, mit dem sie ihr Brot buken. Es kostete mich nichts; diese Dinge gehörten sowieso den Szgany. Sie hatten sie mir in besseren Zeiten gegeben, und ich hatte keine Verwendung dafür.
Eines Vormittags kam ein Mann zu mir. Er hatte in den Bergen gejagt, in meinen Bergen. Ich gestattete den Zigeunern dieses Privileg; wenn sie drei Schweine oder Rebhühner schossen, dann stand eines davon mir zu. So war der Brauch. Dieser Mann erzählte mir von den Szgany Zirra. Sie waren auf einem Bergpass in der Nähe in ein Unwetter geraten, und eine Lawine hatte ihre Wagen in den Abgrund gerissen. Es hatten nur einige wenige überlebt, die zwischen den Schneemassen festsaßen.
Ich wusste sofort, dass sein Bericht stimmte. In der Nacht zuvor hatte ich wieder meine von den Kräutern hervorgerufenen Träume geträumt, aber diesmal ohne die fleischlichen Genüsse, stattdessen aber mit Schneestürmen und den Schreien der Verschütteten und Sterbenden. Und weil ich nicht von meiner Marilena geträumt hatte, fragte ich mich natürlich – gehörte sie zu den Toten?
Ich bestellte den Anführer meiner Zigeuner zu mir und erklärte ihm: »Da ist ein Mädchen im Schnee verschüttet. Der Mann hier weiß, wo. Sie und ihre Leute sind Szgany. Geht, findet sie, grabt sie aus und bringt sie zu mir. Und beeilt euch, denn wenn ihr zu spät kommt und sie schon tot sein sollte ... Es könnte sein, dass das Haus des Ferenczy dann der Meinung ist, seine Gastfreundschaft sei an jemanden wie dich und die deinen verschwendet. Hast du das verstanden?«
Er hatte es begriffen und verschwand in großer Eile.
Am Nachmittag kamen der Anführer und seine Männer zurück. Er berichtete, dass er von den annähernd fünfzig Zirra Szgany nur noch Grigor Zirra und ein Dutzend seiner Leute lebend aufgefunden hatte. Drei der Überlebenden waren verletzt, würden es aber überstehen, bei zwei weiteren handelte es sich um alte Frauen, die vielleicht nicht überleben würden, und eine der übrigen war Grigors Tochter, Marilena genannt, die die Zukunft vorhersagen konnte!
Ich befahl ihm: »Deine Frauen sollen sie pflegen, sie beköstigen und ihnen alles geben, was sie brauchen. Lass es ihnen an nichts fehlen, damit sie sich an diesem Ort willkommen und geborgen fühlen. Ich gehe davon aus, dass ihnen nichts geblieben ist? Keine Kleider außer denen, die sie am Leib tragen, keine Wagen und keine Zelte? Also sind sie ohne mich hilflos. Sehr gut, quartiere sie im Schloss ein. Finde warme Räume für sie, die nicht zu weit von meinen Gemächern entfernt sind, und halte sie von den anderen getrennt.« Ich
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