ENTSEELT
grundlos quälen, du glaubst, ich fände Vergnügen an dieser Art der Belehrung. Aber nein, nein, ich halte es nur für gerechtfertigt, dir die Wichtigkeit des Dienstes nahezubringen, den du mir erweisen wirst. Du bringst mir eine bedeutsame Gabe: die der Kraft, der Erhaltung und Erneuerung. Deshalb gewähre ich dir Wissen ... auch wenn es nicht lange anhält. Und jetzt steh auf, sei tapfer, achte auf meine Worte und befolge sie genau.
Die Wände, geh zu den Wänden, Dumiiitruu. Gut! Und jetzt folge den Fresken – mit den Augen und mit den Händen.
Sieh hin und lerne: Da ist ein Mann. Er wird geboren, lebt sein Leben und stirbt. Prinz oder Bettler, Heiliger oder Sünder, sie alle gehen den gleichen Weg. Du siehst sie da in den Bildern, heilige Männer und Halsabschneider gleichermaßen, die von der Wiege ins Grab eilen, die direkt vom süßen, warmen Augenblick der Zeugung in den kalten, leeren Abgrund der Auflösung gestoßen werden. Das ist scheinbar das Los aller Menschen. Sie werden eins mit der Erde; alles, was sie in ihrem Leben gelernt haben, ist dann verloren; und ihre Geheimnisse bleiben auf ewig ihre Geheimnisse.
Wirklich?
Aber es gibt einige, deren Überreste aufgrund der Umstände ihres Begräbnisses – so wie die des griechischen Priesters – erhalten bleiben; und andere, die verbrannt und in Urnen beigesetzt worden sind, wo sich die pulverisierte Asche nicht mit der Erde mischt und rein bleibt. Und da liegen sie dann, ein oder zwei morsche Knochen, eine Handvoll Staub, und darin ruht dann das Wissen ihrer Zeit unter den Lebenden, die Geheimnisse des Lebens und manchmal auch ihres Todes – und vielleicht sogar von Zuständen dazwischen. Darin ruhen alle Geheimnisse, die sie mit ins Grab genommen haben. Alles verloren.
Und wieder frage ich – wirklich?
Und du wirst sagen: Was ist mit dem Wissen in den Büchern, oder dem Wissen, das mündlich überliefert wird, oder in Stein gemeißelt steht? Sicherlich kann ein gebildeter Mensch, wenn er das denn will, sein Wissen hinterlassen, zum Nutzen derer, die nach ihm kommen?
Was? Steintafeln? Pah! Selbst die Berge werden abgetragen, und die Zeitalter, die sie gesehen haben, werden davongeschwemmt wie der Staub. Mündliche Überlieferungen? Erzähl jemandem eine Geschichte, und sobald er sie weitererzählt, hat sie sich schon geändert. Nachdem sie zwanzigmal erzählt worden ist, kann man sie vielleicht nicht einmal mehr wiedererkennen! Bücher? Gib ihnen ein Jahrhundert, und sie werden mürbe, zwei, und sie zerbröseln beim Umblättern, drei, und sie sind zerfallen! Nein, rede nicht von Büchern. Die sind flüchtiger als alles andere. Die berühmteste Bibliothek der Welt war einst in Alexandria ... und wo sind diese Bücher jetzt? Sie sind weg, Dumiiitruuu. Vergangen wie die Männer von anno dazumal. Aber anders als die Bücher sind die Menschen nicht vergessen. Nicht unbedingt.
Aber was ist, wenn jemand seine Geheimnisse nicht zurücklassen will, wenn er geht?
Doch lassen wir das; denn sieh, die Fresken haben sich verändert. Und da ist ein anderer Mann ... nun ja, nennen wir ihn für den Augenblick einen Mann. Aber er ist ein seltsamer Mann, denn er ist nicht von Mann und Frau gezeugt worden. Da, sieh selbst: Sein Elternteil ist ... aber was ist das? Eine Schlange? Ein Aal? Diese Kreatur legt ein Ei, das der Mann in sich aufnimmt. Und jetzt ist diese vom Glück gesegnete Person nicht mehr nur ein Mensch, sondern etwas anderes. Ah, und sieh: Dieser Eine stirbt nicht, sondern lebt weiter und weiter. Immer! Vielleicht ewig!
Kannst du mir folgen, Dumiiiitruuu? Verstehst du die Bilder an der Wand? Und wenn dieser Gesegnete nicht von einer nichtswürdigen Person erschlagen wird, die über das Wissen verfügt – oder durch einen Unfall stirbt, was auch von Zeit zu Zeit vorkommen kann –, dann wird er ewig leben! Doch er hat Bedürfnisse, dieser Eine. Er ernährt sich nicht wie gewöhnliche Männer. Er kennt bessere Nahrung. Das Blut ist das Leben ...
Weißt du, wie man solch einen nennt, mein Sohn?
»Ich ... ich weiß, wie man solche Menschen nennt«, antwortete Dumitru, obwohl es einem Außenstehenden so erschienen wäre, als spräche er in ein leeres Gewölbe, in dem es kein Leben außer seinem eigenen gab. »Die Griechen nennen sie ›Vrykoulakas‹, wie du schon sagtest; die Russen sagen ›Viesczy‹, und wir fahrendes Volk, die Szgany, wir nennen sie ›Moroi‹ – Vampire!«
Es gibt noch einen anderen Namen, der aus einem anderen Land
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