ENTSEELT
ein Finger, bläulich-grau und pulsierend, schlängelte sich hinaus auf die Wange!
»Oh mein Gott!« Darcy zuckte zurück und verlor beinahe das Bewusstsein. Manolis sprang für ihn ein. Er feuerte auf Armstrongs Gesicht und betätigte so lange den Abzug der schallgedämpften Waffe, bis von dem Gesicht und dem albtraumhaften Finger nur noch undefinierbarer Matsch übrig waren. Und als sein Magazin leer war, nahm er den Säbel aus Darcys gelähmten Fingern und trennte damit Armstrongs Kopf ab.
Darcy hatte sich abgewandt und erbrach sich, aber zwischen den einzelnen Schüben keuchte er: »Jetzt ... müssen wir ... den Scheißkerl ... verbrennen!«
Auch das bewerkstelligte Manolis. Die Lampen im Haus waren doch nicht nur zur Zierde da. Sie enthielten Öl, und in der Küche stand auch noch ein Reservekanister mit Benzin. Als Darcy seinen rebellierenden Magen wieder einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte, brannten Armstrongs Überreste bereits. Manolis stand dabei und passte auf, bis Darcy ihn am Arm nahm und ihn in sichere Entfernung wegführte.
»Man kann ja nie wissen«, sagte er und wischte sich den Mund mit einem Taschentuch ab. »Vielleicht ist ja noch mehr in ihm, nicht nur dieser ekelhafte Finger!«
Aber das war nicht der Fall.
»Ich hoffe, ihr habt es nicht dabei belassen«, sagte Harry. »Das Öl kann ihn nicht restlos verbrannt haben.«
»Manolis hat einen Leichensack besorgt«, erklärte Darcy. »Wir haben ihn zu einer industriellen Müllverbrennungsanlage gebracht. Dem Personal haben wir erklärt, es handle sich um einen räudigen Hund, der bei uns im Garten krepiert sei.«
»Die Hitze in der Anlage dürfte seine Knochen pulverisiert haben«, fügte Manolis hinzu.
»Damit steht es also eins zu eins!«, knurrte Harry mit solch untypischer Heftigkeit, dass die anderen ihn überrascht anblickten. Er bemerkte die Blicke und wandte sein Gesicht ab. Aber Darcy war noch aufgefallen, dass seine sonst so ausdrucksstarken Augen jetzt keinerlei Regung mehr zeigten. Und natürlich wusste er auch, warum.
»Harry, was Sandra angeht–«, begann er erneut zu erklären.
Aber Harry schnitt ihm das Wort ab. »Es war nicht deine Schuld«, sagte er. »Wenn schon jemand Schuld haben muss, dann bin ich das. Ich hätte mich persönlich davon überzeugen sollen, dass sie aus dieser Sache raus ist. Aber wir können uns jetzt keine Gedanken darüber mehr machen. Wenn ich über sie nachdenke, kann ich an nichts anderes mehr denken. Manolis, hast du die Informationen bekommen, auf die du gewartet hast?«
»Es ist ein ganzer Haufen Material«, erklärte der Grieche. »Es ist fast alles da, nur nicht das, was für uns am wichtigsten ist.«
Manolis fuhr den Wagen, Harry und Darcy saßen auf der Rückbank. Sie näherten sich dem Stadtzentrum der Neustadt von Rhodos, wo Manolis Quartier bezogen hatte. Es war noch nicht einmal achtzehn Uhr, aber die ersten Touristen hatten sich schon für den Abend herausgeputzt. »Seht euch die an«, sagte Harry mit kalter Stimme. »Sie sind fröhlich, sie lachen und haben sich aufgetakelt bis zum Gehtnichtmehr; sie haben den ganzen Tag den blauen Himmel genossen und im blauen Meer gebadet und die Welt erscheint ihnen als angenehmes Fleckchen. Sie wissen nichts über die roten Fäden in all dem Blau. Und sie würden es auch nicht glauben, wenn man es ihnen erzählen würde.« Abrupt wandte er sich an Manolis: »Erzähl mir alles, was du in Erfahrung gebracht hast.«
»Lazarides ist ein sehr erfolgreicher Archäologe«, begann Manolis. »Er wurde berühmt, als er vor ungefähr vier Jahren diverse wichtige Funde auf Kreta, Lesbos und Skiros machte. Aber davor ... da haben wir nicht viel über ihn. Er besitzt die griechische und die rumänische Staatsbürgerschaft! Das ist zwar sehr ungewöhnlich, aber nicht einzigartig. Die Behörden in Athen untersuchen das noch, aber ...« Er zuckte mit den Achseln. »... wir sind hier in Griechenland. Alles braucht seine Zeit. Und dieser Lazarides hat Freunde in hohen Kreisen. Vielleicht hat er sich seine Nationalität gekauft, wer weiß? Er hätte auf jeden Fall das Geld dazu, wenn die Gerüchte richtig sind. Und es gibt über ihn eine Menge Gerüchte! Es heißt, er behält mindestens die Hälfte der Schätze, die er ausgräbt, oder verkauft sie an skrupellose Sammler. Und man nennt ihn – wie sagt man? – den Midas! Alles, was er anfasst, verwandelt sich in Gold. Er muss nur einen Blick auf eine Insel werfen und weiß dann, ob da ein Schatz zu finden
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