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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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anfing: »Es strebt alles auf eine Konfrontation zu. Ich kann das spüren. Meine Gabe wünscht sich sehnlichst, dass es nicht Morgen wird, aber sie weiß sehr gut, dass sich das nicht umgehen lässt.«
    Harry blickte von seinem großen blutigen Steak auf. »Sehen wir erst einmal zu, dass wir diese Nacht überstehen, okay?« In seiner Stimme war ein Knurren, das Darcy von ihm nicht gewohnt war. Sie hatte eine Härte, eine Schärfe, die neu war. Die Anspannung, vermutete er, die Nerven. Wer konnte es dem Necroscope verdenken?
    Harry hatte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, aber er hatte keine ruhige Nacht. Er schlief schon, bevor er noch richtig in den Kissen lag, aber er wurde sofort von seltsamen Träumen heimgesucht. In erster Linie waren es »echte« Träume, aber verschwommene und vage, Dinge an die er sich im Wachzustand nicht mehr erinnern würde.
    Seit sich im Kindesalter seine necroscopischen Fähigkeiten entwickelt hatten, kannte Harry zwei Sorten von Träumen: »echte« Träume, das unbewusste Vermischen von Ereignissen und Erinnerungen aus der wachen Welt, die Art von Träume, die jeder hat; und metaphysische »Botschaften« in Form von Warnungen, Omen und manchmal auch Einblicken oder Visionen von wirklichen Ereignissen, die lange vergangen und vergessen waren, und anderen, die noch bevorstanden. Diese Letzteren waren Vorboten seiner sich entwickelnden Fähigkeit, mit den Toten zu reden, gewesen und hatten es den Toten in ihren Gräbern erlaubt, in seinen Verstand einzudringen. Er hatte gelernt, die beiden Formen auseinanderzuhalten und zu wissen, welche Träume wichtig waren, an welche er sich erinnern musste und welche er als bedeutungslos abtun konnte. Manchmal überschnitten sie sich aber, zum Beispiel, wenn das Gespräch mit einem toten Freund in einen »echten« Traum oder Albtraum überging. Der Traum, in dem aus seiner Mutter ein kreischender Vampir geworden war, war ein solcher Fall gewesen. Es konnte auch genauso gut anders herum laufen, ein unruhiger Traum konnte durch das Eingreifen eines toten Freundes entspannt werden.
    In dieser Nacht erlebte er beide Formen von Träumen getrennt voneinander und miteinander vermischt. Nur eines hatten sie alle gemeinsam: Sie waren grausig.
    Es begann harmlos, aber als die Nacht voranschritt, fühlte er einen unbestimmten geistigen Druck. Wenn noch jemand in seinem Zimmer gewesen wäre, hätte er gesehen, wie Harry sich im Schlaf hin und her warf, als der geistige Aufräumprozess in seinem Kopf bizarre Szenarien heraufbeschwor.
    Schließlich erschöpfte ihn sein unbewusster Kampf, und er versank tiefer in seine Träume; und wie so oft in diesem Fall fand er sich auch jetzt auf einem nächtlichen Friedhof wieder. Das war an sich nicht bedrohlich. Er musste sich nur zu erkennen geben, und er wusste, dass er hier Freunde finden würde. Aber widersprüchlich, wie Träume nun einmal sind, versuchte er gar nicht, sich zu erkennen zu geben, sondern schlenderte zwischen den unkrautüberwucherten Grabstellen und den eingesunkenen Grabsteinen, die vom silbrigen Mond beschienen wurden, hin und her.
    Über dem Boden wallte ein Nebel, der an den knorrigen Wurzeln verkrüppelter Bäume leckte und die tiefer gelegenen Wege zwischen den Grabstellen mit milchigen Rinnsalen bedeckte. Harry suchte sich seinen Weg lautlos im Licht des Mondes und spürte fast, wie sich der Nebel an seine Knöchel schmiegte.
    Und dann wusste er plötzlich, dass er nicht allein an diesem Ort war, und spürte eine solche Kälte und einen eisigen Schrecken, wie er ihn noch nie auf einem Friedhof erlebt hatte. Er hielt den Atem an und lauschte, aber selbst der Schlag seines eigenen Herzens erschien gedämpft an diesem schrecklichen Ort. Es war nicht nur die unnatürliche Kälte und die Stille, sondern vor allem die Natur dieser Stille.
    Die Toten selbst gaben keinen Mucks von sich – sie lagen erstarrt in ihren Gräbern, erstarrt aus Angst vor dem, was da zwischen sie gekommen war. Aber was war das?
    Harry verspürte den Drang zu fliehen, er wollte vor dem weglaufen, was eigentlich ein sicherer Zufluchtsort in einer unbekannten Traumlandschaft für ihn sein sollte, aber zur gleichen Zeit zog es ihn zu einer nebelbedeckten Ecke des Friedhofs, wo gummiartige Feuchtpflanzen sich grün und üppig aus den wallenden Dämpfen rankten.
    Die Dämpfe des Grabes, dachte er, wie der kalte Atem der Toten, der aus all diesen Gräbern aufsteigt! Ein seltsamer Gedanke, denn Harry wusste, dass es kein

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