ENTSEELT
aufflackernden Bouzouki-Musik vom Band, und später würden sie dann hektischer in der Horizontalen weitertanzen, zur Begleitmusik von klatschendem, schwitzendem, Ouzo getränktem Fleisch.
Für diese Leute war der erste Stock tabu. Hier fädelte der Besitzer der Spelunke den einen oder anderen nicht ganz astreinen Deal ein oder trank und spielte mit einem seiner vielen zwielichtigen Freunde. Von denen war jedoch an diesem Abend niemand da, anwesend waren nur der Wirt selbst und eine junge griechische Hure, die allein in dem Alkoven saß, der zu ihrem Arbeitszimmer führte, einem kleinen Kämmerchen mit einem Bett und einer Waschgelegenheit. Und natürlich der Mann, der sich jetzt Jianni Lazarides nannte, auf seinem Platz am Fenster.
Der fette unrasierte Wirt, Nichos Dakaris, war hier, um seinem Gast eine Flasche guten Rotweins zu bringen, und das Mädchen, weil es ein blaues Auge hatte und so auf der Uferpromenade keinen Freier abschleppen konnte. Das war jedenfalls die Ausrede, die sie benutzte. Es war ihre Art, sich für die Schläge zu rächen, die sie immer wieder von Dakaris bezog, wenn er den Bullen Bestechungsgelder zahlen musste, weil er es duldete, dass Prostituierte in seinen Räumlichkeiten ihrem Geschäft nachgingen. Wenn er nicht selbst dann und wann auf ihre Dienste zurückkäme, hätte er sie wahrscheinlich schon längst rausgeworfen; aber sie bezahlte für ihr Zimmer ein- oder zweimal die Woche in Naturalien, wenn Dakaris danach war, und außerdem erhielt er vierzig Prozent ihrer Einnahmen. Wenn sie ihr Zimmer benutzte, und nicht wie häufig auf eigene Rechnung in den dunklen Gassen von Rhodos arbeitete. Was wiederum ein Grund für ihn war, sie zu verprügeln.
Und auch Jianni Lazarides hatte seine Gründe, hier zu sein. Er war mit dem griechischen Kapitän der Samothraki und einigen seiner Leute verabredet. Er wollte eine Erklärung dafür haben, wie oder durch wen Informationen über ihre angeblich sichere Schmuggelaktion durchsickern konnten. Eigentlich wusste er das bereits, denn er hatte es aus den Gedanken von Trevor Jordan erfahren; aber er wollte es von Pavlos Themelis, dem Eigner der Samothraki, selbst hören, bevor er eine Entscheidung traf, wie er am besten aus dieser Sache raus kam.
Denn Lazarides hatte gutes Geld in diese angeblich ungefährliche Aktion gesteckt, die jetzt gar nicht mehr so ungefährlich schien, und er wollte sein Geld zurück, oder vielleicht auch einen entsprechenden Gegenwert. Denn Geld und Macht waren in dieser Zeit das A und O, genau wie in all den vorangegangen Jahrhunderten menschlicher Habsucht, mit der sich Lazarides besser auskannte als die meisten anderen. Und in dieser Welt, die viel komplexer war als das, was er bisher kennengelernt hatte, gab es sogar einfachere, sicherere und ungefährlichere Möglichkeiten, Geld zu verdienen und einzusetzen als früher; Möglichkeiten, die nicht die Gesetzeshüter auf den Plan riefen oder wenigstens nur in akzeptablem Maße.
Geld war sehr wichtig für Lazarides, und das nicht nur, weil er raffgierig war. Die Welt, in die er hier gelangt war, war überfüllt und drohte noch voller zu werden, und ein Vampir hat seine Bedürfnisse. In der guten alten Zeit erhielt ein Bojar von einem der unbedeutenderen Prinzen Land als Lehen, wo er sich ein Schloss bauen und in Abgeschiedenheit und einer gewissen Anonymität leben konnte. Anonymität und Langlebigkeit waren damals Hand in Hand gegangen – man konnte das eine nicht ohne das andere haben. Ein berühmter Mann durfte nicht länger leben, als es natürlich war oder für andere, gewöhnliche Kreaturen vorgesehen war. Aber zu jenen Zeiten hatten sich Nachrichten nur langsam verbreitet; ein Mann konnte Söhne haben. Wenn er damals »gestorben« war, stand immer eine neue Inkarnation bereit, um in seine Fußstapfen zu treten.
So wäre es auch im Hier und Jetzt, nur bewegten sich die Nachrichten und die Menschen nicht mehr so langsam fort wie damals, und die Welt war um so vieles kleiner geworden. Wie sollte man sich also hier unbemerkt eine Feste bauen, in den letzten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts? Unmöglich! Aber ein sehr reicher Mann konnte sich immer noch eine gewisse Abgeschiedenheit und damit Anonymität kaufen, so wie früher. Und daraus ergab sich dann die Frage: Wie wurde man sehr reich?
Janos Ferenczy hatte gedacht, die Antwort auf diese Frage schon vor vierhundert Jahren gefunden zu haben, aber jetzt, getarnt als Lazarides, war er sich da nicht mehr sicher. In
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