ENTSEELT
rauschte.
»Da kommt sie«, flüsterte er, »direkt zwischen den Beinen des alten Knaben durch.«
Er schickte seinen telepathischen Verstand über das Wasser hinaus und suchte nach den Gedanken des Kapitäns und seiner Crew. Er wollte wissen, wo das Kokain untergebracht war, falls einer von denen gerade daran denken sollte, oder wohin die Reise überhaupt gehen sollte.
»Die Beine von welchem Knaben?« Layards Stimme drang wie aus der Ferne zu ihm herüber, obwohl er doch direkt neben ihm stand. Jordan war so in seine Gedanken versunken, dass er von der Außenwelt kaum noch etwas mitbekam.
»Der Koloss«, wisperte Jordan. »Helios. Eines der sieben Weltwunder der Antike. Da hat er gestanden, direkt da, über der Hafeneinfahrt, bis 224 vor Christus.«
»Dann hast du also doch noch deinen Touristenprospekt gelesen.«
Die Samothraki kam herein, und das schnittige weiße Schiff lief aus; das Erste wurde von dem Letzteren verdeckt, als sie auf gleicher Höhe waren – und plötzlich beide Anker warfen.
»Scheiße!«, fluchte Jordan. »Schon wieder dieser Gedankensmog! Ich kann nicht das Geringste dadurch sehen!«
»Ich kann es fühlen«, gab Layard zurück.
Jordan ließ sein Fernglas an der schlanken Form des weißen Schiffes entlanggleiten und las den Namen vom Bug ab: Lazarus . »Ein wirklich schönes Schiff«, begann er und erstarrte dann. Direkt in der Mitte seines Sichtfeldes saß der Mann in Schwarz auf dem Vorderdeck aufrecht in seinem Liegestuhl; nur sein Hinterkopf war sichtbar. Er blickte zur Samothraki hinüber. Aber als Jordan das Fernglas auf ihn fokussierte, drehte sich der seltsam proportionierte Kopf, bis dessen unbekannter Besitzer den ESPer über 120 Meter Wasser hinweg direkt anstarrte. Und obwohl sie beide Sonnenbrillen trugen und trotz der Entfernung, hatte er das Gefühl, als stünden sie sich Auge in Auge gegenüber.
WAS? Eine mächtige mentale Stimme schnaubte ihre Überraschung direkt in Jordans Verstand. EIN GEDANKENDIEB? EIN MENTALIST?
Jordan keuchte. Was zum Teufel ging hier vor? Was es auch war, er hatte nicht damit gerechnet. Er versuchte, sich zurückzuziehen, aber der Verstand des anderen schloss sich um ihn wie ein gewaltiger Schraubstock ... und drückte zu! Er konnte sich nicht befreien. Er stürzte kraftlos gegen die Hafenmauer und blickte dorthin, wo der Fremde jetzt voll aufgerichtet – riesig in Jordans Augen – im Schatten der schwarzen Markise stand.
Ihre Augen waren ineinander verschlungen, und Jordan bemühte sich mit solcher Anstrengung, seinen Blick abzuwenden, seine Gedanken auf etwa anderes zu richten, dass er zu zittern begann. Es war, als schössen massive Eisenstangen aus den sonnenbrillengeschützten Augen des anderen heraus, über das Wasser hinweg durch die Linsen von Jordans Fernglas direkt in seinen Verstand; in den sie unbarmherzig ihre Botschaft hineinhämmerten: WER DU AUCH BIST, DU HAST MEINEN VERSTAND AUS FREIEN STÜCKEN BETRETEN. SO ... SEI ... ES!
Layard war jetzt auch auf den Beinen. Er war erschrocken und bestürzt. Auch wenn er den Schock und die Panik des Telepathen nicht in gleichem Maße gespürt hatte, so sah man doch auf den ersten Blick, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. In seinem eigenen Verstand war nur die knisternde und rauschende Statik von Gedankensmog, während er die Arme ausstreckte, um Jordan zu stützen – gerade rechtzeitig, um den Telepathen aufzufangen und auf die Bank gleiten zu lassen, wo er schlaff zusammensackte und ihm bewusstlos in die Arme sank.
VIERTES KAPITEL
Noch in der gleichen Nacht
Die Lazarus lag vertäut an einem Kai im Haupthafen. Ihre Konturen wurden vom dunklen, spiegelglatten Wasser reflektiert. Drei der vier Matrosen waren an Land gegangen, nur eine Deckwache befand sich noch an Bord. Der Besitzer des Schiffes saß zu dieser Zeit an einem Fensterplatz im ersten Stock der übel beleumdetsten Spelunke der ganzen Altstadt und blickte auf den Hafen hinaus. Unten trank ein halbes Dutzend Touristen den billigen Fusel oder Ouzo und verzehrte das abscheuliche Essen, während die örtlichen Nichtsnutze, Penner und Halsabschneider mit ihnen auf Englisch oder Deutsch lachten, auf Griechisch böse Witze über sie rissen und gleichzeitig von ihnen Drinks schnorrten.
Es waren auch drei oder vier aufgetakelte englische Mädchen dort, einige mit griechischen Begleitern, aber alle nicht mehr ganz taufrisch und immer noch auf der Suche nach dem großen Durchbruch. Sie tanzten oder taumelten zu der immer wieder
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