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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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begibst?«
    Das wird nicht geschehen, Vater. Ich bin kein Bauerntölpel; ich habe mein Wissen; ich habe mich unter Kontrolle, so wie ein umsichtiger Süchtiger seine Sucht kontrollieren kann.
    »Und wenn es doch außer Kontrolle gerät? Auch du bist ein Necroscope. Es gibt nichts, was du im Möbius-Kontinuum nicht tun kannst, keinen Ort, an den du nicht gehen kannst, und immer trägst du diesen Infektionsherd mit dir herum. Welches arme Schwein wird dein Ei bekommen, Sohn?«
    An diesem Punkt hatte Harry junior heftig geseufzt und seine goldene Maske abgenommen. Seine Wunden aus der Schlacht um den Garten waren verheilt; es war kaum noch etwas von ihnen zu sehen. Der Vampir in ihm hatte die Heilung eifrig vorangetrieben und sein Fleisch neu geformt, so wie er in den Befürchtungen seines Vaters auch eines Tages seinen Geist neu formen würde.
    Das wäre dann ein Patt, sagte er. Und seine Augen wurden zu großen blutroten Kugeln.
    »Nein«, keuchte Harry hervor, damals wie heute. Doch damals hatte er dann lange Zeit nichts mehr gesagt, bis er im Hauptquartier des E-Dezernats wieder aufgewacht war.
    »Häh?« Sein griesgrämiger Fahrer drehte sich irritiert zu ihm um. »Ham Sie nich gesagt, Sie wollen nach Bonnyrigg? Das will ich doch hoffen, weil wir nämlich schon fast da sind!«
    Die reale Welt brach wieder auf Harry ein. Er saß aufrecht, starr und blass, und sein Mund stand leicht offen. Er leckte sich über die spröden Lippen und sah durch das Taxifenster hinaus. Ja, sie waren schon fast da. »Natürlich ... Bonnyrigg. Da wollte ich hin. Ich war nur in Gedanken, das ist alles.« Dann wies er dem Fahrer den Weg durch das Dorf zu seinem Haus.
    Ein Vorort im Norden Londons Ende April 1989. In einer ziemlich heruntergekommene Erdgeschosswohnung in dem ansonsten vor allem von Yuppies bewohnten Viertel Highgate sitzen zwei scheinbar entspannte Männer mit Drinks in den Händen in einem großen Wohnzimmer und unterhalten sich. An den Wände stehen Regale voller Bücher und vielen kleinen ausländischen, in erster Linie europäischen, Andenken.
    Nikolai Zharov war ein sehr untypischer Vertreter seiner Volksgruppe: Er war spindeldürr, leichenblass und benahm sich affektiert feminin. Er benutzte eine Zigarettenspitze, um Marlboros zu rauchen, bei denen er vorher die Filter abriss, sprach ein hervorragendes Englisch, wenn auch mit einem leichten Lispeln, und wirkte im Großen und Ganzen ziemlich dekadent. Seine Augen waren dunkel und lagen tief in den Höhlen. Seine Augenlider hingen herab, was ihm einen etwas schläfrigen Anschein verlieh, der über seinen agilen und immer aktiven Verstand hinwegtäuschte.
    Sein dünnes, schwarzes Haar war nach hinten gekämmt und wurde von irgendeinem antiseptischen russischen Gel in Form gehalten; die Lippen unter der dünnen, geraden Nase waren schmal und umrahmten einen zu breiten Mund. Ein spitzes Kinn komplettierte sein abgezehrtes Aussehen; er wirkte wie jemand, den man leicht biegen, aber niemals brechen konnte. »Echte Männer« hätten vielleicht geringschätzig über ihn hinweggesehen, aber er gehörte nicht zu der Art Mensch, mit dem man sich freiwillig anlegte. Draußen auf der Straße hätte man Zharov bestimmt einen zweiten Blick zugeworfen, dann aber auch ebenso schnell wieder wegsehen. Der Russe hatte etwas an sich, das die Leute verunsicherte.
    So ging es auch Wellesley, obwohl er sich alle Mühe gab, das zu verbergen. Da ihm die Wohnung gehörte, war ihm unwohl bei dem Gedanken, jemand habe seinen Besucher gesehen oder sei ihm vielleicht sogar hierher gefolgt. In dem Fall hätte er ein ziemliches Erklärungsproblem. Denn Wellesley war ein Akteur im Spiel der Nachrichtendienste, genau wie Zharov, aber theoretisch arbeiteten sie für verschiedene Arbeitgeber.
    Mit einem Meter siebzig war Norman Harold Wellesley fast einen Kopf kleiner als der spindeldürre Russe, dafür aber umso korpulenter, und sein Gesicht hatte auch viel mehr Farbe. Ungesund viel Farbe. Aber weder seine Statur noch sein Blutdruck waren für sein Unwohlsein verantwortlich. Seine augenblickliche Bestürzung hatte auch nichts mit physischen oder kulturellen Ungleichheiten von Rasse und Typus zu tun, sondern lag ganz einfach daran, dass er Angst hatte. Angst vor dem, was Zharov von ihm wollte. Soeben hatte er seinen Vorschlag zurückgewiesen:
    »Aber es muss Ihnen doch klar sein, dass das gar nicht zur Debatte stehen kann. Das ist nicht machbar, eigentlich sogar unmöglich!« Das klang dramatisch, wurde

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