ENTSEELT
ein Teil dieser Rückholaktion sein.
Sie schlüpfte zu ihm ins Bett, um an seiner Wärme teilzuhaben, und seine Hand legte sich automatisch auf ihre Brust. Sein Körper war gut trainiert, sehnig und muskulös. Er legte viel Wert darauf, ihn in diesem Zustand zu halten.
»Dieser Körper ist um Jahre älter, als ich es bin.« Als er ihr das gesagt hatte, hatte kein Fünkchen Humor in seiner Stimme gelegen. »Also muss ich auf ihn Acht geben.«
So als wäre das nicht sein Körper, sondern etwas, das er in Verwahrung hatte. Es war schwer zu glauben, dass es wirklich eine Zeit gegeben hatte, als dieser Körper nicht ihm gehört hatte. Aber damals hatte sie ihn nicht gekannt – weder den Mann noch den Körper –, und dafür war sie dankbar.
»Hmmmm?«, brummte er jetzt, als sie sich an ihn schmiegte.
»Nichts«, flüsterte sie im Dunkeln. »Schlaf weiter!«
»Hmmmm ...«, brummte er wieder und zog sie instinktiv näher zu sich heran.
Er war warm, und er war ihr Harry. Sie hatte sich noch nie bei jemandem so sicher gefühlt, trotz all seiner Depressionen. Wenn sie so wie jetzt bei ihm war, war er ein Fels in der Brandung. Sie streichelte seine Brust, aber nur sacht, um ihn nicht aufzuwecken oder zu erregen, und versuchte, ihn durch ihren Willen tiefer in den Schlaf hineinzuversetzen, und schlief dabei selbst ein.
Harry ...! Mary Keogh, Harrys Mutter, rief ihn aus ihrem nassen Grab und konnte nicht zu ihm durchdringen. Es gelang ihr jetzt überhaupt nicht mehr, und sie wusste auch warum, aber das hielt sie nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Harry, da ist jemand, der dich unbedingt sprechen will. Er sagt, ihr seid alte Freunde und er habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.
Harry konnte sie hören, aber er konnte nicht antworten. Er wusste, er durfte nicht antworten, denn es war ihm verboten, mit den Toten zu sprechen. Sollte er es versuchen, oder auch nur daran denken, es zu versuchen, dann ertönte erneut diese kraftvolle Stimme in seinen Gedanken, die die Befehle wiederholte, mit denen seine necroscopischen Fähigkeiten aufgehoben wurden: Du darfst das nicht, Harry, sonst wirst du Schmerzen erleiden! Große Schmerzen. So starke Schmerzen, dass die Stimmen der zahllosen Toten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt sein werden. So unerträgliche mentale Qualen, dass du es nie wieder versuchen wirst. Es ist nicht meine Absicht, grausam zu sein, Vater, aber das ist zu deinem eigenen Schutz – und auch dem meinen. Faethor Ferenczy, Thibor, Julian Bodescu, vielleicht waren sie die Letzten, vielleicht aber auch nicht. Die Wamphyri haben Kräfte, Vater! Und wenn es noch weitere gibt, die verborgen auf deiner Welt leben, wie lange wird es dann wohl dauern, bis sie nach dir suchen und dich finden? Dich finden, bevor du sie finden kannst? Aber sie werden nur dann nach dir suchen, wenn sie einen Grund haben, dich zu fürchten. Und deswegen werde ich ihnen diesen Grund nehmen! Verstehst du das?
»Das tust du um deinetwillen. Nicht weil du Angst um mich hast, sondern weil du dich fürchtest. Du hast Angst, ich könnte eines Tages zurückkommen, dich in deiner Feste aufsuchen und dich vernichten. Ich habe dir bereits gesagt, das würde ich nie tun. Offenbar reicht dir mein Wort nicht.«
Die Menschen verändern sich, Harry. Auch du könntest deine Meinung ändern. Ich bin dein Sohn, aber ich bin auch ein Vampir. Ich kann nicht darauf bauen, dass du nicht eines Tages mit Schwert und Pflock und Feuer zu mir zurückkommen wirst. Ich habe dir das bereits zuvor gesagt: Als Necroscope bist du eine Gefahr, aber ohne die Toten bist du machtlos. Ohne sie gibt es für dich kein Möbius-Kontinuum mehr. Du kannst nicht mehr hierher zurückkommen und mich nicht in meinen anderen Verstecken aufspüren. Ja, auch das ist ein Grund, warum ich dir diese Beschränkungen auferlege.
»Dann verdammst du mich zu schrecklichen Qualen. Das ist unvermeidlich. Die Toten lieben mich. Sie werden zu mir sprechen!«
Sie können es versuchen, aber du wirst sie nicht hören, und du wirst ihnen nicht antworten. Nicht bewusst. Ich verweigere dir hiermit diese Fähigkeit.
»Aber ich bin ein Necroscope! Ich rede aus Gewohnheit mit den Toten! Und was ist, wenn ich alt werde? Wenn ich senil werde und den Toten etwas vorplappere, was ist dann? Muss ich dann immer noch leiden? Mein ganzes Leben lang?«
Gewohnheiten sind dazu da, um aufgegeben zu werden, Harry. Ich sage es dir nur noch einmal, und wenn du dann noch daran zweifelst, kannst du es selbst ausprobieren:
Weitere Kostenlose Bücher