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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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über einen wolkendurchzogenen Himmel wanderte.
    Ich und all deine Freunde, die zahllosen Toten. Hunderte von ihnen warten begierig darauf, deine sanfte Stimme wieder zu hören; Millionen mehr werden dann nachfragen, was du gesagt hast; und all die anderen wollen wissen, was du tust und wie es dir geht und was aus dir geworden ist. Und ich – ich bin so etwas wie ein Orakel! Denn sie wissen, ich bin diejenige, die am häufigsten mit dir redet. Oder die das früher getan hat ...
    »Du gibst mir das Gefühl, als hätte ich ein altes Versprechen gebrochen«, sagte er. »Aber das hat es nie gegeben. Und so sind die Dinge auch gar nicht! Ich kann nichts dafür, dass ich nicht länger mit euch reden kann. Oder dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wenn ich das tue. Und wieso ist es schwierig geworden, zu mir durchzudringen? Du hast mich gerufen, und ich bin gekommen. War das so schwer?«
    Aber du kommst nicht immer, Harry. Manchmal kann ich fühlen, dass du da bist, und ich rufe nach dir und du weichst vor mir zurück. Und jedes Mal wird die Wartezeit zwischen deinen Besuchen länger, als würdest du keinen Wert mehr darauf legen, oder als hättest du uns vergessen. So, als wären wir eine lästige Pflicht – von der du dich jetzt lösen willst?
    »Nein, das ist nicht wahr!«, brach es aus Harry heraus. Aber er wusste, so war es. Es war nichts, das er aufgeben wollte, aber er war gezwungen worden, es aufzugeben – durch seine Angst. Durch seine Furcht vor der mentalen Folter, die das Reden mit den Toten heraufbeschwören würde. »Oder, wenn es wahr ist«, korrigierte er sich jetzt weniger heftig, »dann ist das nicht meine Schuld. Mein Verstand wäre wertlos für euch, wenn er ausgebrannt wäre, Mama. Und das wird passieren, wenn ich es zu weit treibe.«
    Nun (plötzlich spürte er eine neue Festigkeit in ihrer Stimme, einen stärkeren Druck in den kalten Fingern, die seine Hand hielten), dann müssen wir etwas dagegen unternehmen! Gegen deine Situation, meine ich, denn es stehen schwere Zeiten bevor, und die Toten liegen unruhig in ihren Gräbern. Harry, weißt du noch, dass ich dir gesagt habe, da wolle jemand mit dir reden? Und dass das, was er dir zu sagen hat, wichtig sei?
    »Ja, ich erinnere mich. Wer ist das, und was ist so wichtig?«
    Das wollte er nicht sagen, und seine Stimme kam von weit, weit her. Aber es ist ungewöhnlich, wenn die Toten Schmerzen verspüren, Harry, denn mit dem Tod endet für gewöhnlich jeder Schmerz.
    Harry fühlte sein Blut erstarren. Er wusste nur zu gut, dass die Toten in gewissen Fällen sehr wohl Schmerz verspüren können. Sir Keenan Gormley, der von sowjetischen Gedankenspionen ermordet worden war, war danach von Boris Dragosani, einem Nekromanten, »untersucht« worden. Und obwohl er tot gewesen war, hatte er die Schmerzen verspürt. »Ist es ... so, wie das?« Er hielt den Atem an, bis seine Mutter antwortete.
    Ich weiß nicht, wie es ist. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Denn das ist etwas, das ich nie erfahren musste. Aber Harry, ich habe Angst um dich! Und bevor er auch nur den Versuch unternehmen konnte, sie zu beschwichtigen, fuhr sie fort: Oh mein Sohn, mein armer kleiner Harry, ich habe so große, so unsagbar große Angst um dich! Ist es so, wie das, fragst du? Und ich sage: Wird es wieder – kann es wieder – so sein? Wie denn, wenn du kein Necroscope mehr bist? Und dann bete ich, dass es nicht mehr so sein kann. Du siehst also, mein Sohn, ich bin hin und her gerissen. Ich vermisse dich, und all die Toten vermissen dich, aber wenn wir dich in Gefahr bringen würden, dann können wir auch ohne dich auskommen.
    Er spürte, dass sie ihm etwas verschwieg. »Mama, weißt du wirklich nicht, wer mich erreichen will? Und du bist dir sicher, dass du nicht weißt, wo er in diesem Augenblick ist?«
    Sie gab seine Hand frei, wandte sich ab und vermied es, ihm in die Augen zu sehen. Nein, wer er ist, weiß ich nicht. Aber ich höre seine Stimme, seine Geiststimme, die so gequält aufheult. Oh ja, ich weiß, wo er ist. Und all die anderen Toten wissen es auch. Er ist in der Hölle!
    Irritiert fasste er sie bei den Schultern und drehte sie sanft, bis sie ihn wieder ansehen musste. »In der Hölle?«
    Sie sah ihn an, öffnete den Mund – und nur ein Gurgeln drang heraus! Sie rang hustend nach Luft, spuckte Blut, dann richtete sie sich auf, schwoll an und entriss sich seinem plötzlich kraftlosen Griff.
    Er sah etwas in ihrem Mund, etwas Gespaltenes,

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