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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Züngelndes, das keine menschliche Zunge war! Ihre Haut wurde runzlig und alt, und zerfiel von einem Augenblick zum nächsten wie jahrhundertealtes Pergament. Das Fleisch verrottete auf den Knochen, entblößte einen Totenschädel und zerfiel zu Staub, der an ihr herunterrieselte wie ein verrottetes Leichentuch. Sie schrie in Panik auf, drehte sich um und rannte vor ihm davon, dem Flussufer entgegen. An der Uferböschung hielt sie einen Moment inne und sah zu ihm zurück. Es war ein fauliges, zerfallendes Skelett, das ihm entgegenlachte, während es ins Wasser stürzte – und er sah, wie ihre Augen leuchtend rot im Mondschein glühten und dass ihre Zähne spitze, gebogene Fänge waren.
    Wie vom Donner gerührt stand Harry da und konnte nur hinter ihr herrufen: »Mama!«
    Aber es war nicht seine Mutter, die ihn hörte und ihm antwortete: Haaary! Die Stimme kam von weit, weit her, aber trotzdem wirbelte Harry herum und starrte dem Klang entgegen in die silbrige Mondnacht. Da war niemand.
    Haaaary! Wieder, und diesmal deutlicher in seinem Kopf. Haaaaary Keeeeoooogh! Es klang so, wie seine Mutter es beschrieben hatte: eine Stimme, die alle Qualen der Hölle erlitt.
    Noch benommen durch die Verwandlung seiner Mutter, die nur eine sehr dringliche Warnung sein konnte, denn Harry wusste, dass sie so etwas nie absichtlich herbeiführen würde, konnte Harry zunächst nicht antworten. Aber er erkannte die Verzweiflung in der Stimme, ihre Pein, die Hoffnungslosigkeit, mit der sie ihn immer noch anrief: Harry, um Himmels willen! Wenn du da bist, bitte antworte mir. Ich weiß, dass du das nicht tun solltest, dass du es nicht wagst, aber du musst es tun! Es geschieht erneut, Harry, es passiert wieder!
    Die Stimme wurde leiser, das Signal schwächer, das telepathische Potenzial versiegte. Wenn Harry dieser Sache je auf den Grund gehen wollte, dann musste er das jetzt tun.
    »Wer bist du? Was willst du von mir?«
    Haaaarry! Harry Keogh! Hilf uns! Der Besitzer der Stimme hatte ihn nicht gehört, die Stimme versiegte und verlor sich in einer Brise, die vom Fluss heraufzog.
    »Wie?«, rief er hinter ihr her. »Wie kann ich dir helfen? Ich weiß nicht einmal, wer du bist!« Aber es war anzunehmen, dass er den Rufer kannte. Es kam selten vor, dass ein Toter mit ihm sprach, ohne dass es vorher so etwas wie ein gegenseitiges Vorstellen gegeben hatte. Für gewöhnlich hatte er sie aufgesucht, und wenn der Kontakt einmal hergestellt war, waren sie auch in der Lage, ihn wiederzufinden. Und daher war es wahrscheinlich, dass er auch diese Person (oder Personen?) gekannt hatte, vielleicht, als sie noch am Leben waren.
    Haaarry – um Himmels willen, finde uns und mache dem hier ein Ende!
    »Aber wie kann ich euch finden?« Harry schrie in die Nacht hinaus und wäre in seiner Hilflosigkeit beinahe in Tränen ausgebrochen. »Und welchen Sinn könnte das haben? Ich werde mich nicht einmal mehr daran erinnern, wenn ich wieder wach bin.«
    Die Stimme war nur noch ein schwacher, verklingender Hauch, aber er reichte aus, um einen Wind heraufzubeschwören, der vom Wasser herüberwehte und an Harry zerrte, so dass er sich dagegenstemmen musste. Und dann kam die letzte Bitte, die das Blut des Ex-Necroscopen gefrieren ließ, ihm eine Gänsehaut am ganzen Körper bescherte und ihn in die Realität zurückriss: Finde und zerstöre uns!, flehten die unbekannten Stimmen. Mach diesen roten Fäden ein Ende, bevor sie sich weiter ausbreiten. Du weißt, was du tun musst, Harry: der scharfe Stahl, der hölzerne Pflock, das reinigende Feuer. Tue es, Harry. Bitte ... tue ... es!
    Harry schreckte auf. Sandra umarmte ihn und versuchte, ihn niederzuhalten. Er war schweißgebadet und zitterte wie Espenlaub. Auch sie war angsterfüllt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und ihr Mund formte ein starres »O«.
    »Harry, Harry!« Sie lag halb über ihm. Sie ließ seine Schultern los, legte ihm die Arme um den Hals und spürte sein Herz gegen ihre Brust schlagen. »Es ist alles gut, alles ist gut. Es war ein schlimmer Traum. Nur ein Albtraum, nichts weiter.«
    Mit weit aufgerissenen, unsteten Augen starrte er im Zimmer umher. Zitternd und keuchend ließ er die gewohnte Umgebung in sich einsickern. Sandra hatte das Licht angeknipst, nachdem sein Aufschrei sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
    »Was?« Seine Hände, mit denen er sich an ihr festhielt, zitterten. »Was ist passiert?«
    »Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie. »Nur ein Traum, nichts weiter.«
    »Ein Traum?«

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