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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Ihre Worte drangen allmählich zu ihm durch, und die Leere hinter seinen Augen füllte sich wieder mit Leben. Er schob sie sanft zur Seite, wollte sich aufsetzen und sog dann scharf die Luft ein und fuhr ruckartig hoch. »Nein«, stammelte er, »das war mehr als nur ein Traum – viel mehr. Und ich muss mich daran erinnern!«
    Aber es war zu spät; die Bilder verflüchtigten sich schon, flossen zurück in die Tiefen seines Unterbewusstseins. »Da war ... es ging um ...«, er schüttelte verzweifelt den Kopf und verspritzte dabei Schweißtropfen um sich, »... meine Mutter! Nein, nicht direkt um sie, aber ... sie hatte damit zu tun! Es war ... eine Warnung? Ja, es war eine Warnung ... und noch etwas anderes.«
    Aber das war alles. Der Traum war ausgelöscht, gegen seinen Willen durch den Willen eines anderen verdrängt, durch den Willen oder die Hinterlassenschaft seines Sohnes, durch die posthypnotischen Befehle, die er in Harrys Verstand eingepflanzt hatte.
    »Verdammt!«, flüsterte Harry, während er schweißnass und zitternd auf der Bettkante saß.
    Das war um fünf nach vier gewesen. Harry hatte zu der Zeit vielleicht dreieinhalb Stunden geschlafen, Sandra eine Stunde weniger. Als er sich schließlich beruhigt und einen Morgenmantel angezogen hatte, hatte sie Kaffee aufgesetzt. Und während er zitternd dasaß und an seiner Tasse nippte, versuchte sie, ihm seinen Traum wieder ins Gedächtnis zu rufen, drängte sie ihn, sich zu erinnern, und verfluchte sich insgeheim die ganze Zeit dafür, dass sie eingeschlafen war! Wenn sie wach geblieben wäre, hätte sie vielleicht einen Teil der schrecklichen Sache miterlebt, die er durchlebt hatte, was auch immer das gewesen sein mochte. Das war schließlich ihre Aufgabe, sie war dazu da, ihm zu helfen, seinen Verstand unter Kontrolle zu bekommen und das wiederzufinden, was er verloren hatte. Egal, ob er das wollte oder nicht, und egal, ob das gut oder schlecht für ihn war.
    »Es hat keinen Sinn.« Er schüttelte den Kopf, nachdem sie ihn lange Zeit geduldig ausgefragt hatte. »Es ist weg. Und wahrscheinlich ist es auch besser so. Ich muss vorsichtig sein.«
    Sandra war müde. Sie fragte nicht, warum er vorsichtig sein müsse, weil sie Bescheid wusste. Aber sie hätte fragen sollen, weil sie das eigentlich nicht wissen durfte. Und als sie ihn wieder ansah, blickten seine wissenden Augen sie geradewegs an, und sein zerzauster Kopf war ein wenig fragend zur Seite geneigt. »Warum interessiert dich das eigentlich so?«
    »Wenn du dir das von der Seele reden kannst, fühlst du dich danach bestimmt besser.« Wenigstens klang ihre Lüge einigermaßen plausibel. »Wenn man einen Albtraum erzählt hat, dann ist er nicht mehr so furchteinflößend.«
    »Ach? Du kennst dich also mit Albträumen aus?«
    »Ich wollte dir nur helfen.«
    »Aber ich erzähle dir, dass ich mich nicht erinnern kann, und du bohrst trotzdem weiter. Das war nur ein Traum, und niemand versucht so penetrant, die Träume aus jemandem herauszukitzeln! Jedenfalls nicht ohne einen verdammt guten Grund. Sandra, hier stimmt etwas nicht, und ich glaube, das ist mir schon seit einiger Zeit bewusst. Der alte Bettley sagt, es sei meine Schuld, wenn die Sache zwischen uns nicht so ganz funktioniert, aber ich bin mir da nicht mehr so sicher.«
    Es gab nichts, was sie dazu sagen konnte, und so verzichtete sie auf eine Antwort, tat verletzt und zog sich von ihm zurück. Aber natürlich wusste sie, dass er es war, der verletzt worden war, und das hatte sie vermeiden wollen. Als er schließlich wieder ins Bett kroch und sie ihm dahin folgte, war es unübersehbar, wie kalt er war, wie steif und schweigsam und brütend er dalag – mit dem Rücken zu ihr.
    Etwas mehr als eine Stunde später wurde sie durch ein natürliches Bedürfnis erneut wach. Harry schlief weiter und bekam nichts mit. Er lag da wie tot. Dieser Gedanke ließ sie ein wenig frösteln, als sie wieder zu ihm unter die Decke kroch; aber natürlich war er nicht tot, nur erschöpft, geistig und vielleicht auch körperlich ausgelaugt. Seine Gliedmaßen waren bleischwer, seine Augen starr, sein Atem tief, langsam und gleichmäßig. Keine Träume mehr. Es war vielleicht noch eine Dreiviertelstunde bis zur Dämmerung.
    Während sie so neben ihm lag, fühlte sich Sandra von ihm entfremdet. Ihre Beziehung, das spürte sie, war wie eine kunstvolle Strickarbeit, und im Stricken war sie nie besonders gut gewesen. Eine fallengelassene Masche und das ganze Ding fällt

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