Entspannt wie ein Buddha
nächsten Kapitel.
Die Vorstellung, dass Stress unbedingt behandelt werden muss, ist fragwürdig. Einerseits handelt es sich dabei um eine dieser selbst schon Stress erzeugenden Muss-Forderungen. Andererseits ist sie Ausdruck einer zunehmenden Pathologisierung des Alltagslebens. Die medizinisch-pharmazeutische Industrie ist daran interessiert, immer neue Krankheiten zu erfinden. Erscheinungen, die früher als normal oder zumindest erträglich betrachtet wurden, werden heute als pathologisch und nicht weiter hinnehmbar bezeichnet. Mehr oder weniger willkürlich bestimmte Grenzwerte teilen die Befindlichkeiten ein in das »Gesunde« und das »Kranke«. Dann braucht man nur noch die Grenzwerte ständig zu senken und immer mehr Menschen gelten als »krank«. Besonders schön kann man dies an den Klassifikationssystemen für psychische Erkrankungen ablesen. Mit jeder Neuauflage werden die entsprechenden Handbücher umfangreicher. Jede »Abweichung« von der »Norm« ist danach im Prinzip ein Fall für den Arzt oder Psychologen. Selbstverständlich ist einesder Motive hinter dieser Entwicklung pure Geschäftemacherei der im »Gesundheitswesen« Tätigen. Mehr noch aber ist diese Entwicklung gespeist von einer falschen Vorstellung vom Leben. Stress, Krankheit, Alter und Tod werden als Fehler der Natur angesehen, die um jeden Preis bekämpft und korrigiert werden müssen, obwohl sie doch nur die Kehrseite von Entspannung, Gesundheit, Jugend und des Lebens sind. Sie sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne Alter wüsste man überhaupt nicht, was Jugend ist. Ohne Stress gäbe es keine Entspannung. Die Gegensätze können nur zusammen existieren.
Stress ist weder unnatürlich, noch muss er immer beseitigt werden. Er gehört dazu. Stress kommt und geht. Oft ist nicht mehr nötig, als zu warten, bis er von allein wieder verschwindet. Kein Grund, sich darüber aufzuregen! Warum sich Stress wegen des Stresses machen?
Eigentlich geht es um zweierlei:
Erstens ist nur Dauerstress schädlich. Wenn die Belastungen sehr häufig, sehr lange und sehr hoch sind, ist es ratsam, etwas dagegen zu unternehmen. Zu viel Stress beeinträchtigt das Leben durchaus. In diesem Fall lohnt es sich, für mehr Entspannung und Erholung zu sorgen. Aber aus dem gewöhnlichen Alltagsstress sollte man keine große Sache machen, sondern ihn einfach tolerieren wie vorüberziehende Regenwolken am Himmel. So halte ich es zum Beispiel. Ich lebe nicht rund um die Uhr im Bewusstsein des Open Focus oder korrigiere ständig meine kleinen Missverständnisse, gegen die auch ich nicht immun bin. Nur wenn mich irgendetwas länger und intensiver belastet, wende icheine der in diesem Buch dargestellten Methoden an. Es ist gut zu wissen, dass man jederzeit dem Stress Einhalt gebieten kann, wenn es wirklich nötig ist.
Zweitens ist zu wenig Stress ebenfalls ungesund. Menschen sind dafür ausgerüstet, Belastungen zu ertragen. Ohne sie liegen diese Fähigkeiten brach. Nur durch Anstrengungen bilden wir Muskeln aus. Ohne Widerstände werden wir schwach und krank.
Uns geht es dann nicht anders als den Fischen in dem folgenden Experiment. Forscher haben Fische in drei verschiedenen Aquarien unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt. Im ersten erlebten die Tiere starken Dauerstress, im zweiten war die Stressbelastung mäßig. Im dritten lebten die Fische wie im Paradies. Die Temperaturen waren konstant optimal, ebenso das Futter und alle übrigen Umweltbedingungen. Es erstaunt nicht, dass die Fische unter Dauerstress eingingen. (Die ethischen Bedenken gegen dieses Experiment möchte ich hier dahingestellt sein lassen.) Nicht zu erwarten war dagegen, dass die Tiere auch unter den bestmöglichen Umständen eingingen. Man sagt, dass Esel aufs Eis gehen, wenn sie es zu gut haben, und dass Menschen nicht mehr als drei gute Tage hintereinander ertragen. Fischen ergeht es offenbar ähnlich. Nur diejenigen, die unter mittleren Belastungen lebten, waren wohlauf.
Daraus kann man den Schluss ziehen, dass es nicht gut ist, jederzeit ganz entspannt zu leben, auch wenn man es sich gelegentlich wünschen mag. Nicht jeder Stress muss vermieden oder bekämpft werden.
Mythos Nr. 3
Man muss alle Belastungen loswerden, bevor man ein gutes Leben führen kann.
Was ist denn ein gutes Leben? Eines ohne Stress, aber auch ohne Höhepunkte? Oder eines, das produktiv und erfüllt ist, aber gleichzeitig ein gewisses Maß an Mühe und Anstrengung mit einschließt?
Frei zu sein von allen
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