ENTWEIHT
Überdies war Liz auch noch, wenn auch nur eine Anfängerin, telepathisch begabt. Sie konnte zwar nicht senden (es sei denn an Jake oder einen anderen Mentalisten, der ganz bewusst ihre Gedanken las), aber als Empfängerin war sie verdammt gut. Und dem Ehrenkodex des E-Dezernats, der stillschweigenden Übereinkunft, dass ESPer sich nicht gegenseitig ausspähen, zum Trotz konnte sie quasi versehentlich durchaus etwas von dem, was Trask da durch den Kopf ging, aufgeschnappt haben. Jedenfalls wurde ihr Gesichtsausdruck auf einmal kalt, und Trask wandte seinen brennenden Blick ab.
»Wir haben geübt«, platzte sie los, ehe er etwas zu sagen vermochte. »Zumindest wollten wir das, hätte ich ...«
»Sie meint wir «, schnitt Jake ihr das Wort ab. »Hätten wir es nicht versaut. Aber das haben wir nun mal. Es ist weg.« Er zuckte, offensichtlich unbekümmert, die Achseln.
»Jedenfalls vorübergehend«, warf Liz ein. »Wir wollten es noch ein letztes Mal probieren, und darüber ... müssen wir wohl irgendwie die Zeit vergessen haben.« Sie biss sich auf die Lippe, warf Jake einen vorwurfsvollen Blick zu und sah danach von ihm weg.
Trask blickte sie an, und was er sah, war Enttäuschung, allerdings nicht seinetwegen. Sie hatte ihn nicht heimlich belauscht, weder aus Versehen noch sonst irgendwie. Dass sie sich so kühl gab, lag daran, dass sie enttäuscht war, enttäuscht, weil sie versagt hatte. Dabei lag es wahrscheinlich eher an Jake, dass es nicht geklappt hatte. Wenn Trask ihn so ansah, wusste er nicht, was er in ihm las. Nichts, um der Wahrheit die Ehre zu geben! Würde er mit ihm in einer Bar sitzen und Würfel spielen, müsste er, Trask, wohl die nächste Runde ausgeben. Jakes Abschirmung war undurchdringlich. Aber wenn du die Wahrheit sagst, was soll dann die Abschirmung? Oder handelte es sich bloß um einen Nebeneffekt von Harry Keoghs Splitter, eine Art sich selbst regulierenden oder intuitiven Schutzmechanismus? Nun, so ganz auszuschließen war das nicht; Trask war sich ziemlich sicher, dass es dem ersten Necroscope durchaus ein-, zweimal gelungen war, ihn ins Bockshorn zu jagen. Doch all dies einmal beiseite, klang die Entschuldigung der beiden ziemlich lahm.
»Keiner von uns ist ständig in Höchstform«, schnarrte Trask. »Unsere Talente funktionieren mal besser und mal weniger gut. Aber es gibt eine Zeit zum Üben und eine Zeit für Besprechungen und Briefings, um sich auf dem Laufenden zu halten. Was bringt es denn, in Bestform zu sein, wenn man keine Ahnung hat, was um einen herum vorgeht? Wozu maile ich Ihnen denn täglich einen Dienstplan und setze Besprechungen an, wenn Leute wie Sie solche unwichtigen, unbedeutenden kleinen Punkte einfach ignorieren! Da Sie es ohnehin schon geschafft haben, das Ganze für einige Minuten aufzuhalten, lassen Sie sich ruhig noch ein bisschen mehr Zeit, suchen Sie sich ein paar Stühle... und setzen Sie sich verdammt noch mal hin! «
Für gewöhnlich hielt Trask nichts davon, zu fluchen. Schimpfwörter zeigten seiner Meinung nach lediglich, dass es einem an passendem oder vielmehr »anständigem« Vokabular mangelte. Aber mitunter, obgleich selten, riss auch ihm der Geduldsfaden, und dann fing er an zu fluchen oder Schimpfwörter zu benutzen, zum Beispiel wenn er unter Druck stand oder etwas sein Missfallen erregte oder wenn er, so wie jetzt, nicht mehr weiter wusste. Seine ESPer erkannten dies und wussten, wann sie den Mund halten mussten – jedenfalls die meisten.
Liz lief rot an, Jake jedoch zuckte nur die Achseln – allerdings keineswegs entschuldigend – und blickte weiterhin desinteressiert drein. Dann trennten sie sich; Liz suchte sich einen Platz in der hinteren Reihe, Jake setzte sich ganz vorne hin, genau in die Mitte. Trask gab ihnen bewusst Zeit, während sein Blick ihnen folgte ...
Jake Cutter war um die dreißig, aber man sah ihm an, dass er das Leben in vollen Zügen genossen hatte, was ihn gut sieben, acht Jahre älter wirken ließ. Trask erinnerte sich an einen Ausspruch von Johnny Cash. Es war jetzt ein Vierteljahrhundert her, da hatte der Countrysänger auf einer seiner England-Tourneen gesagt: »Es liegt nicht am Alter, sondern am Spritverbrauch.« Und auf Jake traf dies sicherlich zu. Er hatte eindeutig Raubbau mit seiner Gesundheit getrieben.
Er war groß, fast einsneunzig, hatte lange Beine und entsprechend lange Arme. Sein Haar war von einem dunklen Braun, so wie seine Augen, sein Gesicht hager und hohlwangig. Im Profil wirkte es völlig
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