ENTWEIHT
Schatten über die Nischen in den Wänden, über die zusammengewürfelten alten Knochen und die gähnenden Totenschädel tanzten; Schädel, die, wenn auch lautlos, ihren Protest aus weit aufgerissenen Kiefern hinauszuschreien schienen.
»In der Tat«, stimmte Garzia seinem Gebieter zu, »wie es aussieht, hat er nichts angerührt, dieser alte Olivenöl-Kerl, sondern alles uns überlassen!«
»Die perfekte Zuflucht«, sagte Castellano. »Oben geräumig und unter der Erde voller Geheimverstecke. Beinahe wie eine Festung – durch Mauern und unsere Männer gut geschützt, und wenn es drauf ankommt, sind wir selber auch noch da: stärker als gewöhnliche Menschen und wesentlich weniger anfällig für Schmerz und Verletzungen. Schon oft habe ich mich gefragt, wie viel wohl dazu gehören mag, jemanden wie dich oder mich zu töten … aber im Moment bin ich noch nicht bereit, es herauszufinden.«
»Später vielleicht«, meinte Garzia, »wenn die Männer, die wir infiziert haben, Zeit gehabt haben, sich zu stabilisieren? Denn dann werden sie ebenfalls Vampire sein.«
»Nun, vielleicht«, sagte Castellano sinnend. »Ich wäre durchaus daran interessiert, es herauszufinden. Um festzustellen, welches Maß an Strafe Kreaturen wie wir ertragen können, ehe sie ihren Geist aufgeben. Aber fürs Erste … machen wir Schluss damit.« Er erhob sich.
Auf dem staubigen Fußboden lag zwischen ihnen der nackte, ausgesaugte und verstümmelte Leichnam des russischen Doppelagenten Georgi Grusev. Sein Mund war weit aufgerissen, auf die gleiche Weise wie bei vielen der mumifizierten Gestalten in den Wandnischen. Die ganze Nacht und den ganzen Tag über war Grusev an den Füßen in Garzias Folterkammer aufgehängt gewesen, und nun hatte die Leichenstarre seine Kiefer in dieser Position eingefroren; das Gleiche galt für das unheilige, umgekehrte Kreuz, das seine ausgebreiteten Arme bildeten. Dafür hatte Garzia Sorge getragen – indem er ihm die Arme an den Schultern gebrochen und dann entsprechend umgelegt hatte.
Die beiden Vampire packten die Leiche, Castellano oben, Garzia an den Füßen, und schoben sie, ohne zu zögern, mit dem Kopf voran in die nächste Nische. Dabei zerfielen die brüchigen Knochen eines Ahnen, den die Arguccis vor zweihundert Jahren beigesetzt hatten, zu Staub, und schon hatte der Leichnam Platz. Mit einem Mal schienen die lautlosen Schreie lauter zu werden, doch natürlich hörten Castellano und Garzia sie nicht.
Als das albtraumhafte Paar sich anschließend die Kleider abklopfte und die Grabkammer verließ, blickte Garzia noch einmal befriedigt zurück. Mehrere Dutzend Fußpaare – keines davon gehörte einem Argucci, doch bei allen befand sich das Fleisch in den unterschiedlichsten Stadien des Zerfalls oder hatte sich bereits ganz gelöst – ragten, nicht anders als Georgi Grusevs Füße, aus den Nischen … nur dass die seinen zwar kalt, aber noch fest waren und die Zehen nach oben zeigten.
Als die Geheimtür hinter dem geschändeten Hort der Toten zuschwang und wieder zu einer massiven Steinmauer wurde, hielt das Ungeheuer Garzia noch einmal inne, um gewisse verräterische Anzeichen auf dem Boden – die beiden Schleifspuren, die Grusevs Fersen im Staub hinterlassen hatten – zu verwischen. Dann löschte er seine Fackel und folgte der düster dahingleitenden Gestalt seines Gebieters nach draußen …
VIERZEHNTES KAPITEL
SONNE, SAND, MEER – UND SCHREIE?
Ben Trask war im Augenblick zwar abwesend, am Telefon beschäftigt, mit London zu sprechen. Doch nachdem er nur wenige Minuten weg war, sprang sein Stellvertreter, der Hellseher Ian Goodly, für ihn ein. Sich stets der Tatsache bewusst, dass die Zukunft unbarmherzig näher rückte, war Goodly bekannt als jemand, der keine Zeit vergeudete.
»Manolis«, begann er, »ich entsinne mich, dass du von Waffen sprachst. Und zwar als wir auf der Fähre waren. Du sagtest Liz, du hättest spezielle Waffen. Was hast du damit gemeint?«
»Ah!«, erwiderte Manolis. »Ian, bei der Sache mit Janos Ferenczy warst du nicht dabei, oder? Damals haben wir so einiges gelernt.«
»Ich weiß«, entgegnete Goodly. »Die Akten darüber zählen für jedermann beim E-Dezernat zur Pflichtlektüre. Aber das Ganze ist doch schon fünfundzwanzig Jahre her. Was hat das mit dem Hier und Jetzt zu tun? Das heißt, abgesehen von der Tatsache, dass wir uns wieder auf den griechischen Inseln befinden.«
»Was für Waffen habt ihr dabei?«, beantwortete Manolis die Frage des Hellsehers
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