ENTWEIHT
ähnlich ist, dürfte es sogar noch dunkler sein.«
Das traf auch zu, und als Jake an exakt den Koordinaten, an denen er am Tag zuvor das Taxi anhalten ließ – auf der Straße nach Imperia, an der Stelle, an der sie aus dem Fels gesprengt worden war – das Kontinuum verließ, trat er mitten hinein in ein Unwetter, das gerade tobte!
Wolken türmten sich übereinander, gezackte Blitze zuckten am Himmel über dem Ligurischen Meer. Drohend erhob sich über ihm pfostengestützt über die Klippen ragend wie eine der Neuzeit angepasste Feste die moderne Reinkarnation eines Schreckenshauses aus grauer Vorzeit – Le Manse Madonie. Scharf zeichnete sich das lichtdurchflutete Bauwerk vor dem Dunkel der Nacht ab. Der hohe, zum Meer hin gelegene Balkon war hell erleuchtet, und einen kurzen Augenblick lang hatte Jake den Eindruck, er nähme dort oben auf der wind- und regengepeitschten Plattform jemanden wahr.
Doch durch die Regenschleier, die der Wind gegen die Klippen trieb, war alles nur verschwommen zu erkennen, darum konnte er nicht ganz sicher sein. Völlig durchnässt trat Jake in den Schatten der Felswand und blickte noch einmal, nun in spitzerem Winkel, hoch und sah nichts mehr; nur im Innern des Hauses bewegten sich undeutlich Gestalten, vom Regen verzerrte Umrisse tauchten an den Verandatüren auf, Gesichter, die nach draußen spähten, sich zurückzogen und wieder verschwanden. Dies waren Castellanos Leute – Drogendealer, Dreckskerle wie er – die nach dem Anwesen sahen, solange ihr Boss weg war, es benutzten und bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich auch gleich verteidigten. Heute Abend allerdings, bei so einem Wetter, würden sie das Ganze wohl etwas lascher handhaben. In so einer Nacht rechneten sie bestimmt nicht mit Ärger!
Nun, ob sie damit rechneten oder nicht, Ärger stand ihnen bevor.
Jake hatte drei Sprengladungen dabei, eine für jeden Stützpfeiler. Waren diese zerstört, konnte man das ganze Haus abschreiben und die Leute, die sich darin befanden, wahrscheinlich gleich mit.
Er hatte keineswegs vor, die Pfeiler zu durchtrennen – massive Stahlträger für die man ein Autogenschweißgerät brauchen würde, was viel zu lange dauerte –, sondern wollte sie einfach aus ihrer Halterung in der Felswand sprengen. Darum waren seine Sprengsätze jeweils nur halb so hoch dosiert wie derjenige, den er bei dem Anwesen in Marseille eingesetzt hatte: stark genug, den gesamten Hang aufzubrechen und zu verschieben, von den Pfeilern ganz zu schweigen.
Nun musste er nur noch auf das schmale Wartungssims am Fuß der Stützpfosten gelangen, doch in der Dunkelheit vermochte er es bei dem strömenden Regen kaum auszumachen; sein Beobachtungswinkel war zu spitz, die Koordinaten ungewiss. Die Zufahrtsstraße war wohl sicherer, also vollführte Jake einen Möbiussprung gut hundert Meter zurück zu einer Haltebucht an der Küstenstraße, von wo aus die einspurige, steil nach oben führende Zufahrt zu dem Anwesen abzweigte. Von dort brachte ihn ein weiterer Sprung empor auf die Höhe der Manse Madonie, sodass er das Sims von oben sehen konnte.
Nun waren die Koordinaten fest in Jakes Geist verankert, doch in dem Augenblick, bevor er den Sprung unternahm, war ihm, als sähe er erneut eine verstohlene Bewegung in dem im Schatten liegenden Bereich des Balkons; jemand bewegte sich dort, und als ein Blitz das Dunkel durchzuckte, nahm er ein mattes, metallisches Glänzen wahr. Wer auch immer das war – falls sich überhaupt jemand dort befand – er musste unter dem quastenverzierten Sonnendach einer Hollywoodschaukel, die in einer Ecke des Balkons stand, Schutz gesucht haben.
Darum ließ Jake, als er aus dem Möbiuskontinuum auf das im strömenden Regen direkt unterhalb des zweifelhaften Bereichs liegende Wartungssims hinaustrat, besondere Vorsicht walten. Sich niederkauernd, ließ er seinen Blick über die Balkondielen nur viereinhalb Meter über ihm schweifen. Er sah sehr wenig, nur dünne Lichtstreifen, die durch die zentimeterbreiten Zwischenräume zwischen den einzelnen Brettern fielen, hatte dafür jedoch das sichere Gefühl, im Rampenlicht zu stehen, und war überzeugt, dass die Streifen ein Zebramuster auf ihn warfen und jede seiner Bewegungen hervorhoben. Falls dort oben wirklich jemand war und nur einen Schritt nach vorn machte, sich über das Geländer lehnte und hinabschaute ...
Leise vor sich hin fluchend, arbeitete Jake, so schnell er konnte, da sein Umriss sich mit jedem Blitz aufs Neue vor der glatten
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