Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
Donnerstag verschanzte ich mich deswegen nahezu den ganzen Tag in der Bibliothek, wo ich so gut wie keinem begegnete, und kurz nachdem es draußen dunkel wurde, machte ich mich auf den Heimweg.
Zu Hause tigerte ich unruhig in Mariannes Wohnung herum. Sie war noch bei der Arbeit und so setzte ich mich schließlich zur Ablenkung vor den Fernseher und zog mir eine Folge irgendeiner dämlichen Fernsehserie rein. Ich zuckte zusammen, als plötzlich mein Mobiltelefon klingelte.
Da es „U nbekannt“ anzeigte, meldete ich mich nur mit einem knappen „Hallo?“.
„Hallo , Josephine“, tönte mir Davids klangvolle Stimme entgegen. Ich konnte das Stöhnen, das mir daraufhin entfuhr, nicht zurückhalten und David lachte leise in den Hörer hinein. „Wie ich vernehme, freust du dich von mir zu hören. Es ist doch immer wieder eine Freude, so herzlich begrüßt zu werden.“
„Stets zu Diensten“, gab ich trocken zurück.
„Ich wollte nur wissen, wie es dir geht.“
„ Mir geht es großartig. Danke der Nachfrage.“
„Großartig? Wow, das kann nicht jeder von sich behaupten. Aber es freut mich, das zu hören. Mir geht es auch ganz passabel, wenn auch nicht großartig.“
„Tja, außergewöhnlichen Menschen geht es eben außergewöhnlich gut.“
„ Ja, scheint so. Hast du irgendetwas Außergewöhnliches erlebt diese Woche, dass es dir so großartig geht?“ Davids Stimme klang lächelnd, nicht überheblich, also ging ich auf seinen unverbindlichen Plauderton ein.
„ Ja. Ich habe endlich herausgefunden, wie dieser Kaffeeautomat neben der Bibliothek funktioniert. Nachdem er mir stets das Doppelte an Geld abgezwackt hat, bevor er mir meinen Kaffee ausspuckte, habe ich ihm heute einen kräftigen Schlag im oberen Drittel verpasst, und siehe da, er hat mir einen doppelten Kaffee ausgegeben. Nur Schade, dass in den Becher nur einer passte, aber es war immerhin ein Forschritt in unserer etwas angespannten Beziehung.“
„Wenn du ihm das nächste Mal einen Tritt ins untere Drittel gibst, gibt’s vielleicht Milch und Zucker dazu“, erwiderte David amüsiert.
„Nein, das habe ich schon probiert. Da spuckt er nur heißes Wasser aus.“
David lachte rau auf. „Das sind die wahren Herausforderungen des Studentenalltags.“
„ Ja, die Uni bereitet einen bestens auf die wahren Tücken des Berufslebens vor.“
Ich hörte David schmunzeln und einen Moment lang herrschte Stille in der Leitung. „Dann war die Woche bisher für dich unspektakulär?“, fragte er dann ernst mit aufmerksamer Wachsamkeit in der Stimme.
„Keine besonderen Vorkommnisse“, gab ich wahrheitsgemäß zurück.
„Gut“, antwortete David mit einem befriedigten Unterton. „Und was machst du gerade?“
„Ich sehe mir eine US-Comedy- Serie im Fernsehen an. Ich muss einen Aufsatz über Shakespeares komödiantisches Talent schreiben und dachte, ich hole mir mal Inspiration dazu von seinen heutigen potentiellen Nachfolgern.“
„Da würden sich die Simpsons gut eignen. Sie haben unge fähr denselben Bekanntheitsgrad wie Shakespeare zu seiner Zeit und die Dialoge strotzen nur so vor Raffinesse.“
„ Ja, ich habe gehört, das Nobelpreiskomitee diskutiert über eine Erweiterung der Nominierungsregeln, um zukünftig auch Dialoge von Sitcoms als eine Kunstform des Schriftstellertums aufzunehmen.“
„ Das würde den erhabenen Kreis der Literaturkritiker auf jeden Fall ordentlich aufmischen.“
„Es ist Zeit für eine Revolution. Wer will sich schon heutzutage mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen, wenn Mysterythriller das Weltgeschehen erklären?“
„Ahh. Dann planst du also im Untergrund eine Revolte gegen den altmodischen Lehrstoff der Literaturwissenschaften. Du willst zeitgenössische amerikanische Sitcoms in den Lehrplan aufnehmen.“
Darüber musste ich grinsen. „Fernsehserien sind das neue Medium der Dichtkunst.“
Auch Davids Stimme klang lächelnd, als er antwortete. „Ja, die alten Barden haben sich auch schon auf Gesangswettbewerbe im Fernsehen eingeschossen.“
Mir entfuhr ein Lachen. Worüber ich direkt selber erschrak. Ich hatte mich selbst schon lange nicht mehr Lachen gehört und da David am anderen Ende bedeutungsvoll schwieg, ging ich davon aus, dass es ihn genauso erschreckt hatte. Ich musste etwas sagen, doch mir fiel nichts ein. Es war seltsam, sich mit David so schwerelos zu unterhalten.
Das Schweigen breitete sich aus. Schließlich sprach David mit warmer Stimme. „Ich habe ein tolles Buch
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