Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
plötzlich wieder eine beklemmende Stimmung zwischen uns. David hielt an der Straßenecke zu Mariannes Wohnung. „Hier hol ich dich morgen früh wieder ab. Ist dir zehn Uhr Recht?“ Ich nickte zustimmend. „Du kannst mich jederzeit anrufen, Josephine! Jederzeit! Verstanden?“ Eindringlich musterte er mich. Anscheinend sah er mir mal wieder meine Verängstigung an. Ich nickte erneut und fühlte mich tatsächlich wie ein kleines Kind.
Ich hatte Angst davor, aus dem Auto zu steigen. Angst, dass die Realität über mich hereinbrach, sobald ich aus diesem Auto stieg. Auch wenn die Zeit, die ich mit David verbracht hatte , auch nicht gerade einem angenehmen Urlaubstag geglichen hatte und mir genauso erschreckend meine abartige Realität vor Augen geführt hatte, so war ich mir doch irgendwie geschützt vorgekommen, bei ihm in seiner Wohnung. Geschützt vor einer erschreckend neuen Außenwelt, die Gefahren für mich barg, die mit nichts zu vergleichen waren, was ich bisher für real gehalten hatte. Und diese Realität würde auf mich einstürzen, sobald ich aus diesem Auto ausstieg.
David streckte die Hand aus und wollte mich damit wohl am Arm berühren, doch er schien es sich kurz davor anders zu überlegen und zog sie wieder zurück.
Schade. Ich hätte ein wenig Zuwendung gebrauchen können. Seit er mich in seinen Armen gehalten hatte, sehnte ich mich nach der Geborgenheit, die er mir damit vermittelt hatte. Eine Geborgenheit, die ich so noch nie erlebt hatte.
„Zu Hause wird dir nichts geschehen“, versicherte er mir. „Wenn du willst, gehe ich vor und besuche unter einem Vorwand deine Schwester, um die Lage zu sondieren.“
Ich atmete tief ein. „Nicht nötig“, gab ich so bestimmt wie irgendwie möglich von mir. Ich sollte mich vor David nicht so schwach zeigen. Kurzerhand öffnete ich die Autotür und stieg beherzt aus dem Wagen. Ich lehnte mich zu ihm runter, um mich zu verabschieden. „Danke fürs Bringen“, war alles, was ich etwas hölzern herausbrachte.
Ich hatte einen Kloß im Hals und fühlte mich unsicher so völlig ungeschützt auf weiter Str aße. David lehnte sich zu mir herüber, um mich ansehen zu können. Ein Grinsen flog über sein Gesicht.
„Vergiss nicht ein wonnestrahlendes Gesicht aufzusetzen, wenn du auf Marianne triffst.“
Diese Bemerkung genügte, um meine Nervosität erstaunlich wirksam abzukühlen. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu, schlug kommentarlos die Autotür zu und setzte mich in Bewegung, ohne mich noch einmal umzublicken. Doch ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken und ich wusste, er würde solange dort stehen bleiben, bis ich hinter der Haustüre verschwunden war. Wahrscheinlich blieb er sogar noch länger da stehen, nur um sicherzugehen, dass niemand mir folgte.
Seltsamerweise beruhigte mich das nicht, sondern es machte mich nervös. Warum machte sich David diese Mühe um ein Geschöpf, dem er eigentlich gemäß der Ansicht seines Volkes den Tod wünschen sollte?
Ich stellte mir dieselbe Frage erneut, als er mich am Tag darauf abends wieder nach Hause fuhr und mir anbot, mein Fahrrad zu holen, nachdem ich erwähnt hatte, dass es immer noch irgendwo im Montmartre-Viertel stand. Wir hatten den ganzen Tag an meinen mentalen Kräften gearbeitet, das Visualisieren und die Beherrschung meines Schutzwalls geübt und ich war ziemlich erschöpft.
Der Tag war uns pektakulär verlaufen. Wir hatten uns beide ganz auf das Üben konzentriert und ansonsten nicht viel gesprochen. David war sehr zurückhaltend gewesen, man könnte sagen höflich distanziert, deswegen überrumpelte mich sein Angebot am Abend einigermaßen.
„Äh, nein. Ich hole es morgen früh“, stammelte ich wenig überzeugend. Wir hatten bereits die Straßenecke zu Mariannes Wohnung erreicht und saßen beide stur geradeaus blickend etwas angespannt im Auto. Ich war angespannt, weil ich nicht wusste, wie ich den morgigen Tag angehen sollte. Warum David angespannt war, konnte ich mir nicht erklären, aber er war es eindeutig. Ich konnte es spüren.
„Ich kann es heute Abend noch holen“, erwiderte David mit gleichgültiger Stimme, er sah mich dabei aber nicht an. „Ich könnte das als Sporteinlage sehen. Täte mir gut, mich mal wieder zu bewegen.“
Wie auf Kommando erschien v or meinem geistigen Auge wieder das Bild von David mit nacktem Oberkörper, das sich anscheinend sehr tief in mein Gehirn eingebrannt hatte, denn ich konnte mich deutlich an seine gut ausgebildete Brust- und
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