Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
passt in den Kofferraum“, rief er mir lapidar zu und ging in Richtung seines Zimmers. Er wartete allerdings, bis ich im Gästezimmer verschwunden war, bevor er mich aus den Augen ließ.
Ich stellte mich stöhnend unter die Dusche und ließ lange Zeit das heiße Wasser über meinen Körper prasseln, bis ich das Gefühl hatte, dass jeder Knochen wieder warm war. Nach einer gefühlten Ewigkeit stellte ich das Wasser wieder ab und wickelte mich in das große, plüschige, weiße Handtuch ein, das auf einer Ablage bereitlag. Das Badezimmer war voller Dampf und der Spiegel war beschlagen, worüber ich ganz froh war, denn ich wollte nicht in mein eigenes Antlitz sehen.
Seit Freitag mied ich mein Spiegelbild. Ich hatte Angst, darin das Monster zu erkennen, das in mir verborgen war. Angst, irgendwelche Veränderungen an meinem Äußeren zu entdecken. Denn da musste es Veränderungen geben, weil ich mich innerlich so anders fühlte.
Jedes mal, wenn ich die letzten Tage Marianne begegnet war, hatte ich mich innerlich auf einen entsetzten Aufschrei ihrerseits gewappnet, weil sie entdeckte, dass ich kein Mensch war. Die erste Begegnung mit ihr nach Davids Enthüllung war qualvoll gewesen, da ich die ganze Zeit dachte, dass ihr ganz plötzlich in aller Deutlichkeit klar werden würde, dass wir in Wirklichkeit keine Schwestern waren. Im Grunde war das auch offensichtlich, wo wir so verschieden waren. Im Nachhinein betrachtet, passte ich kein bisschen in meine Familie. Warum war mir das früher nie aufgefallen? Jetzt schien es mir offensichtlich.
Doch Marianne hatte sich verhalten wie immer. Neugierig in Bezug auf meine angebliche Liebschaft, aber sie akzeptierte anstandslos meine knappen Äußerungen hierzu und ließ mich einigermaßen in Frieden. Sie hatte nicht mal an meinem Kleidungsstil herum gemäkelt. Sie wirkte eher erleichtert über den Umstand, dass ich es wohl endlich geschafft hatte, einen Mann von meinen verborgenen Reizen zu überzeugen. Sie wollte nicht mal viel über ihn wissen. Sie hatte mich nur mit einem riesigen Grinsen im Gesicht gefragt, ob ich Spaß gehabt hätte und nahm mein peinliches Erröten wohl als ausreichende Antwort hin. Dann verstärkte sie mein Unwohlsein noch mit ihrer schulmeisterlichen Frage, ob ich denn auch ausreichend schützende Verhütungsmittel eingesetzt hatte, und da sie eine Antwort von mir erwartet hatte, hatte ich schließlich nur gequält genickt. Was ja nicht gelogen war, denn einen besseren Schutz als keinen Sex zu haben, gab es wohl nicht vor ungewollten Beischlafkonsequenzen.
Mir entfuhr ein gequälter Seufzer. Was würde ich im Moment dafür geben, solch profane Probleme zu haben. Aber allem Anschein nach war es mir wohl nicht vergönnt, ein normales Leben zu führen. Ich war dazu verdammt, allem und jedem zu misstrauen und ein einsames Dasein zu führen. Was waren das doch für erbauliche Aussichten?
Ich rubbelte mein Haar trocken so gut es ging, denn ich konnte keinen Fön finden und auch keinen Kamm oder eine Haarbürste. Was bedeutete, dass meine Haare sich fröhlich in alle Richtungen kringelten und kaum zu bändigen waren. Ich sah bestimmt aus wie eine Vogelscheuche, aber das war wohl kaum der Moment, um eitel zu sein. Das große Handtuch fest um meinen Körper geschlungen öffnete ich vorsichtig die Tür des Badezimmers und spickte in das anliegende Gästezimmer. Tatsächlich hatte David auf dem Bett Kleidungsstücke bereitgelegt.
Unschlüssig ging ich darauf zu. Ich verspürte wenig Bedürfnis, Davids Klamotten anzuziehen, zumal ich darin meinen Look der Vogelscheuche noch verstärken würde, aber was blieb mir schon anderes übrig. Zögerlich sah ich mir die Sachen an. Sie bestanden aus einer bereits etwas abgenutzt aussehenden dunkelgrauen Jogginghose, einem schlichten weißen T-Shirt und einem ebenfalls bereits etwas ausgewaschenen, dunkelblauen Kapuzenpullover, der innen weich gefüttert war. Alles Kleidungsstücke, die ich irgendwie nie mit David in Verbindung gebracht hätte, weil er stets wie aus dem Ei gepellt wirkte und diese Klamotten definitiv nicht aus dem Designershop stammten. Und genau deswegen gefielen sie mir. Sie wirkten so derangiert wie ich mich fühlte.
Ich schlüpfte in die Sachen und kuschelte mich dankbar in den warmen Kapuzenpullover. Er war herrlich weit und unglaublich warm. Ich konnte mich darin verstecken, meine Figur darin verbergen, was mir sehr gelegen kam, denn ich fühlte mich gerade alles andere als wohl in meinem eigenen
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