Envy-[Neid]
beinahe mystische Würde aus, die die wolligen Bärte des Louisiana-Mooses an den Ästen noch steigerten. Der durchdringende Geruch nach Salzwasser und Fisch war gar nicht so unangenehm, da sich die berauschenden Düfte einer unendlichen Fülle von Blütenpflanzen damit mischten.
Maris kam an einem Haus vorbei, das ein ganzes Stück zurückgesetzt von der Straße lag. Im Hof spielten Kinder. Der Junge und das Mädchen waren noch so klein, dass sie selbstvergessen um den Rasensprenger herumtanzten und beim abwechselnden Sprung über den rotierenden Sprühnebel vor Wonne quietschten.
Vor einem anderen Haus entdeckte sie im Schatten eines Pick-ups einen großen Hund. Sie wechselte die Straßenseite und musterte ihn ängstlich im Vorübergehen. Ohne Grund. Er hob nur den Kopf, schaute sie gelangweilt an, stand auf, streckte sich, drehte sich im Staub drei Mal um die eigene Achse, legte sich anschließend wieder auf seinen ursprünglichen Platz und schloss die Augen.
Auf der Straße begegneten ihr keine Autos. Ihre einzige Gesellschaft waren Zikaden, die im Schutz des dichten Laubs schrill zirpten.
Die verlassene Baumwollmühle lag genau an der Stelle, die Mike ihr beschrieben hatte. Ohne seine präzisen Richtungsangaben hätte sie sie allerdings verfehlt. Der Wald hatte sich das Gebäude zurückerobert. Einige Wände lagen gut getarnt unter dichtem Blattwerk verborgen.
Lediglich ein schmaler Weg aus zerstoßenen Muschelschalen, der kaum diesen Namen verdiente, führte dorthin. Zweifelnd betrachtete ihn Maris. Er war höchstens einen knappen Meter breit. Links und rechts wuchs hohes Unkraut. Bei einem Blick auf ihre nackten Fesseln erwog sie ernsthaft, die Mühle zu Gunsten anderer Sehenswürdigkeiten auszulassen, die Mike empfohlen hatte.
»Angsthase«, stieß sie hervor.
Sie suchte nach einem Stecken, und als sie einen passenden gefunden hatte, betrat sie den schmalen Weg und schlug damit vor sich auf das hohe Unkraut. So konnte sie sämtliche Untiere, ob aus der Gattung der Reptilien oder von anderer Sorte, auf ihre Gegenwart aufmerksam machen und ihnen Gelegenheit zum Ortswechsel geben, bevor sie sie sehen musste.
Gott sei Dank legte sie den Weg zurück, ohne auf irgendwelche Vertreter der ortsansässigen Fauna zu stoßen. Sie ließ den Stecken fallen, staubte sich die Hände ab und musterte eindringlich das massige Gebäude, das ganz genau Mikes Beschreibung entsprach: kurz vor dem Einsturz.
Das Holz war grau und verwittert. Rost hatte sich durchs Zinndach gefressen. Kletterpflanzen bedeckten große Teile der Wände und des Dachs mit einem undurchdringlichen Teppich. Eine Wand war mit leuchtenden Purpurblüten übersät, die nicht so recht zum allgemeinen Eindruck von Verfall und Verlassenheit passen wollten.
Mit ungutem Gefühl näherte sich Maris der breiten offenen Tür. Das Innere wirkte sogar noch größer, als die äußere Hülle vermuten ließ, und glich einer dunklen Höhle. Nur an wenigen Stellen drangen Sonnenstrahlen durch Ritzen in den Bretterwänden oder bündelten sich durch Löcher im Dach zu winzigen Schlaglichtern auf dem gestampften Boden.
In der rückwärtigen Hälfte des Erdgeschosses lag, unter einem Überhang, ein Speicherraum, dessen Decke aus massiven Holzbalken bestand. Unmittelbar unter dieser Decke befand sich ein großes Rad mit einem Durchmesser von rund drei Metern, das durch eine fassdicke Holzsäule mit dem gestampften Boden verbunden wurde. So etwas hatte Maris noch nie gesehen.
Sie blinzelte, um sich an das Zwielicht zu gewöhnen.
»Hallo?« Als sie keine Antwort bekam, ging sie hinein und trat zögernd ein paar Schritte vorwärts. »Parker?«
Und einen Moment später noch mal: »Hallo?«
»Hier.«
Sie zuckte zusammen und fuhr herum, die Hand aufs Herz gepresst, das einen wilden Satz gemacht hatte. Da saß er, in einer Ecke hinter ihr. Bis auf einen Sonnenstrahl, der durchs Dach fiel und sich in der Chromleiste seines Rollstuhls brach, war er unsichtbar.
Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, fragte sie böse:
»Haben Sie mich denn nicht gehört?«
»Ist das Ihr Ernst? Nachdem Sie so herumgedonnert haben? Aus Ihnen wird nie ein Indianer.«
»Warum haben Sie dann nichts gesagt?«
»Wie sind Sie hier hergekommen?«
»Zu Fuß. Wie kommen Sie denn her?«
»Wie komme ich wohl irgendwo hin?«
»Können Sie mit Ihrem Stuhl über diesen schmalen Weg rollen?«
»Geht so.«
Obwohl er an Ort und Stelle blieb, konnte sie seine Blicke auf sich spüren. Vermutlich
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