Envy-[Neid]
Lektorin. Mich musst du nicht überraschen.«
»Natürlich muss ich das. Du bist in erster Linie Leserin und erst dann Lektorin. Du bist der erste Gradmesser, ob dieses Buch gut ist oder Mist. Damit es gut ist, sind unerwartete Wendungen im Plot unerlässlich. Außerdem konzentriere ich meine Schreibenergie lieber auf die Story als auf ein blödes Expose.«
»Parker, ich beschwöre dich, nimm dir Zeit dafür. Das nützt dir genauso wie mir.«
»Tu ich nicht.«
»Du klingst wie Todd.«
»Todd?«
Sie trat zum Tisch, wo sie ihre Kopie des Manuskripts von Neid liegen gelassen hatte. »Mal sehen… Ich glaube, es steht im sechsten Kapitel. Nein, im siebten. Eine Szene zwischen ihm und Roark. Da erzählt er Roark gerade von Professor Hadleys Vorschlag, er solle doch die Haltung seiner Figur gegenüber seinem Vater ändern. Und diesen Vorschlag hält Roark für völlig überflüssig.«
Sie überflog die Textseiten. »Hier, Seite zweiundneunzig. Todd sagt: ›Wenn unser verehrter Herr Professor ein Buch schreibt, kann er mit seinen Figuren nach Belieben verfahren. Und du kannst das mit deinen machen. Aber das hier sind meine Figuren. Ich habe sie erschaffen. Ich weiß, was sie umtreibt. Die werde ich nicht ändern, nur damit es Hadley in den Kram passt. Nein. Nein, mein Herr. Tu ich nicht.‹«
Sie schaute zu ihm hinüber. Er zuckte die Achseln.
»Okay. Dann werde ich eben Todd für mich sprechen lassen.«
»Meine Güte, bist du stur.«
Sie starrten einander an, bis er schließlich fragte: »Willst du nun hören, was ich heute geschrieben habe, während du damit beschäftigt warst, mir aus dem Weg zu gehen?«
Ohne auf seinen Sarkasmus einzugehen, sagte sie:
»Selbstverständlich will ich das… Sagtest du hören?«
»Ich dachte, ich lese es dir lieber vor. Es ist sehr schlampig. Ich habe schnell geschrieben und mich nicht mit Kleinkram wie Rechtschreibung und Interpunktion aufgehalten. Nimm Platz.«
Sie sank in die tiefen Kissen eines Korbsessels, streifte ihre Sandalen ab und schlug die Beine unter. Er rollte seinen Stuhl daneben, stellte die Bremse fest und richtete eine Stehlampe so aus, dass ihr Schein direkt auf die Seiten fiel. Mit Ausnahme dieses kleinen Lichtkegels lag der Raum im Dunkeln.
»Maris, ich habe deinen Rat beherzigt und die Rolle des Mädchens vertieft. Sie spielt auch in anderen Szenen mit, aber diese ereignet sich zwischen ihr und Roark am Abend nach seinem Schlamassel mit Hadley.
Der Professor hatte den Termin auf einen Tag nach den Thanksgiving-Ferien verschoben. Roark begibt sich wieder ins Verbindungshaus, zerrt Todd, wie du vorgeschlagen hast, aus seiner Schlafkoje und beginnt, ihn windelweich zu prügeln. Ein paar Verbindungsbrüder gehen dazwischen. Außer einer aufgeplatzten Lippe und Nasenbluten richtet Roark keinen Schaden an. Todd entschuldigt sich.«
»Wirklich?«
»Ja. Er sagt, er hätte es für einen guten Streich gehalten, dabei aber nicht bedacht, welche Probleme entstehen könnten, wenn Roark bei Hadley Scheiße baut. Sagt, er hätte nicht damit gerechnet, dass Hadley auf Roarks Verspätung so streng reagiert. Er hatte sich ausgemalt, Roark würde, bildlich gesprochen, eine auf die Pfoten bekommen, und Hadley anschließend die Besprechung stattfinden lassen.«
»Ist Todd ehrlich?«
»Wir haben keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen, oder?«
»Nein, vermutlich nicht.«
»Okay, also hat Roark Todds Erklärung und seine Entschuldigung akzeptiert. Aber stockwütend ist er immer noch. Verzweifelt. Fühlt sich beschissen. Er ruft das Mädchen an und verabredet sich für den gleichen Abend mit ihr. Erklärt ihr, er möchte sie unbedingt sehen. Er hätte einen beschissenen Tag gehabt, und so.«
»Er braucht unbedingt ein paar Streicheleinheiten.«
»Ganz genau.« Parker überflog im Weiterblättern die ersten Seiten und ließ sie nacheinander neben seinem Stuhl zu Boden fallen. »Diese Überleitung kannst du dann selbst lesen. Ach, übrigens, ich habe das Mädchen Leslie genannt.«
»Gefällt mir.«
»Kurz zusammengefasst: Roark lädt sie in ein Drive-in- Lokal ein. Zu Chili-Nachos und Kirschlimonade.«
»Wie großzügig.«
»He, nun mal halblang, ja? Er ist ein junger Kerl und knapp bei Kasse. Außerdem mag er Nachos und Kirschlimonade.«
»Verzeihung. Mach weiter.«
»Nach dem Essen fährt Roark zum See. Er parkt. Das Radio bleibt stumm. Irgendwie erscheint ihm die Stille passend. Mal sehen… Jaaa, hier. ›Die Stille umfing ihn, tröstlich und beruhigend wie
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