Enwor 1 - Der wandernde Wald
sich den Rest der Frucht in den Mund.
»Nicht besonders mutig, diese Waldmenschen, wie?« fragte Del spöttisch.
Skar sah auf. So, wie er und Del aussahen, war es kein Wunder, daß die Waldbewohner Hals über Kopf die Flucht ergriffen hatten. Gegen die kleinwüchsigen Männer war selbst er ein Riese. Del mit seinen fast sieben Fuß mußte ihnen wie ein Gigant vorkommen — ein bewaffneter, verwahrloster und barbarischer Gigant noch dazu.
»Wir sollten versuchen, sie einzuholen«, sagte er kauend. »Sie werden wiederkommen. Sie oder andere.«
Del langte nach einer Frucht. »Das glaube ich kaum. Sie sind gerannt, als wäre eine ganze Kompanie Sshrilc hinter ihnen her.« Er wischte die Frucht nachlässig an seinem Harnisch ab und biß herzhaft hinein.
»Trotzdem.« Skar schüttelte den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Sein Magen knurrte hörbar. Die winzige Frucht hatte seinen Hunger nicht gestillt, sondern erst richtig geweckt. »Wir müssen hinterher. Sie werden irgend etwas unternehmen.« Er machte eine weit ausholende Geste, nahm sich eine zweite Frucht und fuhr fort: »Unterschätze diese Leute nicht. Sie haben das hier geschaffen. Jemand, der zu so etwas fähig ist, '.tann nicht dumm oder schwach sein.«
Del antwortete nicht. Er stopfte sich eine weitere Frucht samt Stiel und Kernen in den Mund, schmatzte hörbar und suchte den Waldboden ab. Skar wartete geduldig, bis er eine Handvoll Früchte aufgelesen und unter seinen Harnisch geschoben hatte.
Dann gingen sie los; Del an der Spitze, Skar mit gezückter Waffe zehn Schritte hinter und etwas neben ihm — eine Marschordnung, die sie schon vor so manch unangenehmer Überraschung bewahrt hatte.
Der Wald nahm an Dichte zu, je tiefer sie eindrangen. Die Bäume rückten enger zusammen, und auch das Unterholz wucherte bald ungezügelt und bar jeder künstlichen Regelmäßigkeit. Ein Schwarm kleiner, dunkler Nachtvögel stob kreischend aus den Baumwipfeln hoch und begleitete sie eine Weile mit Schimpfen und Protestieren, und einmal brach etwas Dunkles und Wuchtiges durch die Büsche und fauchte drohend, ergriff aber die Flucht, als Skar einen Ast nach ihm schleuderte.
Sie marschierten etwa eine Stunde weit, ohne auf das geringste Anzeichen menschlichen Lebens zu stoßen. Schließlich blieb Skar stehen und gab Del ein Zeichen, zu ihm zu kommen. Der Jüngere wandte sich widerwillig um und trat neben ihn.
»Es hat keinen Sinn, einfach aufs Geratewohl weiterzustolpern«, murmelte Skar. »Wir müssen mehr über unsere Umgebung herausfinden.«
Del lächelte. »Und wie gedenkst du dies zu bewerkstelligen, großer Meister?«
Skar überging den Spott in Dels Stimme wortlos. Er schob sein Schwert in den Gürtel zurück, trat an einen der regelmäßig wachsenden Stämme und schlug klatschend mit der Handfläche dagegen. Die Rinde fühlte sich seltsam glatt und fest an.
Neugierig geworden, beugte er sich hinunter und versuchte, in der unsicheren Dämmerung hier am Grunde des Waldes mehr Einzelheiten zu erkennen. Die Rinde sah aus wie eine ganz normale Baumrinde — borkig, zerfurcht und mit einer Unzahl winzigen Narben und Risse übersät; eine miniaturisierte Landkarte mit Flüssen und Tälern und Hügeln und Ebenen, angelegt vom geduldigen Wuchs der Natur und unzähligen Jahren voller Stürme und Regen, Wind und Kälte. Das Holz fühlte sich fest und rauh an, und als er versuchte, es mit dem Fingernagel zu ritzen, gelang es ihm nicht.
Er spuckte sich demonstrativ in die Hände, federte ein paarmal in den Knien ein und sprang mit ausgestreckten Armen nach dem untersten Ast.
»Halt die Augen offen«, sagte er, während er — sich wie ein Baumaffe mit Händen und Füßen festklammernd — darauf wartete, daß der dünne Ast aufhörte zu wippen. »Ich möchte keine Überraschung erleben, wenn ich zurückkomme.«
Del postierte sich mit gezücktem Schwert unter dem Baum, während Skar mit vorsichtigen Bewegungen weiterkletterte. Die weit ausladenden Äste wurden dicker, je weiter er nach oben kam, aber sie waren nicht annähernd so stabil, wie Skar gehofft hatte. Der Baum ächzte und bebte unter seinem Gewicht, und mehr als nur einmal konnte er sich nur im letzten Moment am Stamm festklammern, wenn ein Ast unter seinem Gewicht nachgab und abbrach. Trotzdem kam er gut voran und erreichte schon nach wenigen Minuten den Wipfel. Der mannsdicke Stamm gabelte sich hier oben, und in dem so entstandenen Winkel fand er einen einigermaßen sicheren
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