Enwor 4 - Der steinerne Wolf
aber stehenblieb.
»Ich nehme mich da nicht aus, Skar. Du hast Laynanya gehört. >Wir wollen keinen Krieg, aber wir wehren uns, wenn man ihn uns aufzwingt...< Das ist Unsinn. Wir sind geflohen, Skar, aber sie weiß so gut wie ich oder irgendeiner hier im Lager, daß es zum Kampf kommen wird, und das bald.«
»Dann wißt ihr auch, daß ihr keine Chance habt«, sagte Skar hart.
Legis nickte. Ein Schatten schien über ihre Züge zu huschen.
»Wenn wir es bis gestern nicht gewußt hätten, jetzt wissen wir es. Wir kämpfen nicht gegen einen Feind aus Fleisch und Blut, sondern gegen die Macht der Alten.«
»Vela ist noch immer ein Mensch«, widersprach Skar. »Einen Gegner zu überschätzen ist so gefährlich wie ihn zu unterschätzen, glaub mir.«
»Ein Mensch?« wiederholte Legis fragend. »Sicher. Aber ein Mensch, der mehr Macht in Händen hält als je ein einzelner Mensch zuvor. Nicht einmal die Alten selbst, Skar. Sie waren viele, ein ganzes Volk, und sie brauchten Äonen, um den Stein zu schaffen. Vela hat ihn erst seit wenigen Wochen, und doch ist sie schon mächtig genug, den Lauf der Jahreszeiten zu ändern und ein ganzes Volk unter ihren Willen zu zwingen. Die Quorrl sind nicht freiwillig in unser Land eingefallen.«
Skar zuckte mit den Achseln. Legis wollte nicht wirklich eine Antwort, das spürte er. Sie wollte reden, aber nicht mit ihm, sondern nur reden. Die Daktyle wäre ein genauso guter Zuhörer gewesen wie er. Trotzdem sagte er nach kurzer Überlegung: »Immerhin sind die Quorrl jetzt bei euch. So ganz scheint das mit der Beherrschung eines ganzen Volkes nicht zu klappen.« Er hatte absichtlich leichthin gesprochen, aber der lockere Tonfall verfehlte seine Wirkung. Legis wirkte im Gegenteil noch nachdenklicher. »Die wenigen, die noch am Leben sind, meinte ich, Skar. Sie waren mehr als fünftausend — fünftausend Krieger, und dazu kamen die Alten und die Kinder. Jetzt lebt nur noch eine Handvoll von ihnen. Die, die du hier siehst, und vielleicht noch einmal so viele, die in kleinen Gruppen durch das Land ziehen und verzweifelt versuchen, irgendwie zu überleben. Sie sind nicht mehr von Wert für sie, Skar. Sie hat erreicht, was sie wollte. Die paar, die übrig sind, hat sie weggeworfen wie ein Werkzeug, das nicht mehr richtig arbeitet.«
»Du sprichst sehr bitter über jemanden, von dem du vor ein paar Stunden nicht einmal wußtest, daß es ihn gibt«, sagte Skar leise.
»Du täuschst dich, Skar. Wir wußten ihren Namen nicht, und wir wußten nicht, wer sie ist. Aber wir wußten, daß auf dem Thron von Elay nicht mehr die sitzt, die wir gewählt haben.«
Skar schwieg eine Sekunde lang. Da war etwas an Legis' Worten, das ihn störte, ein Fehler in ihrer Argumentation, der ihm schon während seines Gespräches mit Laynanya aufgefallen war, ohne daß er ihn wirklich erkannt hatte.
»Wieso ... hat es außer euch niemand gemerkt?« fragte er. »Ob die Margoi für euch eine Göttin ist oder nicht — euch ist aufgefallen, daß etwas mit ihr nicht mehr stimmt, und ...«
»Und den anderen nicht, meinst du?« Legis machte eine undefinierbare Geste, stieß sich von der Daktyle ab und trat mit vor der Brust verschränkten Armen auf ihn zu. Skar unterdrückte den Impuls, die gleiche Entfernung zurückzuweichen. Was zwischen ihnen war, war noch lange kein Vertrauen, aber wenigstens eine Vorstufe davon. Er wollte es nicht durch eine unbedachte Geste zerstören. »Wir alle«, sagte Legis betont, »haben es nicht gemerkt. Es war Laynanya — sie ist... etwas Besonderes, weißt du. Wäre das alles nicht passiert, dann ... dann wäre sie wahrscheinlich die neue Ehrwürdige Mutter geworden. Sie ist so talentiert wie die Margoi, vielleicht noch talentierter. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.«
»Wegen des Kindes?« fragte Skar.
Legis nickte. »Ja. Sie ist entehrt. Jedenfalls würdest du es so nennen. Selbst wenn wir siegen und Elay wieder frei wird, wird sie nie wieder die sein, die sie war.«
Skar zögerte. »Warum ... warum macht sie es nicht weg?« fragte er.
Legis erschrak sichtlich. »Du ...« Sie stockte, suchte für die Dauer eines Atemzuges nach den richtigen Worten und schüttelte dann entschieden den Kopf. »Wir
Errish
retten Leben«, sagte sie mit vollkommen veränderter Stimme. »Wir vernichten es nicht.« »Auch unerwünschtes Leben nicht?«
»Es gibt kein unerwünschtes Leben«, widersprach Legis. »Das Kind, das sie in sich trägt, mag ein Kind der Gewalt sein, ein Bastard, der
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