Enwor 7 - Das schweigende Netz
Boden. Dann griff er unter seinen Mantel und holte die rubingeschmückte Waffe des Hohen Satai hervor, die er selbst ihm vor weniger als einem Tag abgenommen hatte.
»Hier«, sagte er. »Es gehört dir.«
»Bist du sicher?« fragte Skar.
Del nickte ernst. »Hundertmal mehr als mir. Wenn ... wenn wir diesen Wahnsinn hier überleben, dann sollten wir miteinander reden.«
»Ja«, pflichtete ihm Skar trocken bei, während er die Waffe in seinen Gürtel schob. »Vor allem, um uns über gewisse pathetische Abschiedsszenen zu unterhalten, die ziemlich lächerlich wirken, wenn man dann doch davonkommt, nicht wahr?«
Del lachte, gab seinem Pferd einen leichten Klaps auf den Hals und trat zurück. Die Reihen der Satai und Veden teilten sich vor Skar, als er auf das Tor zuritt. Hinter ihm rief Del einen Befehl, und die beiden mächtigen, bronzenen Torflügel begannen sich zu teilen. Ein eiskalter Wind schlug Skar entgegen wie ein böses Omen, und die Morgensonne überschüttete den kleinen Platz vor dem Tor mit Strömen aus flüssigem Rot, als wäre in dieser Nacht noch nicht genug Blut geflossen. Seltsam — er hatte gar keine Angst.
Er erreichte das Tor, wartete, bis sich die beiden Hälften weit genug geteilt hatten, um ihn und die beiden Packpferde bequem durchzulassen, und setzte sein Tier langsam in Trab. Sein Herz begann zu hämmern. Eine eisige, prickelnde Kälte breitete sich in seinem Körper und seinen Gliedern aus. Wenn es Furcht war, dann Furcht einer ganz anderen Art, als er sie bisher kennengelernt hatte.
Das Plateau vor ihm war voller Toter; Quorrl und Pferde, aber auch entsetzlich viele Gestalten in den knöchellangen Mänteln der Satai und Veden, und die Spur aus Leichen und Sterbenden zog sich den gewundenen Weg hinab, so weit er nur blicken konnte.
Und keine hundert Schritte vor ihm die Quorrl.
Es waren Tausende. Sie standen dicht an dicht, eine undurchdringliche waffenstarrende Mauer aus gigantischen, schuppigen Gestalten, und hinter der ersten Reihe erhob sich eine zweite, dritte, vierte... Das Heer zog sich den gewundenen Weg hinab bis an den Fluß und weiter an seinen Ufern entlang wie eine einzige, ungeheuerliche Masse, ein gigantisches, aus vieltausend Körpern bestehendes Tier, das nur auf ein Wort, eine einzige falsche Bewegung, wartete, um loszustürmen und die Burg und ihre Besatzung einfach zu überrennen. Plötzlich war Skar davon überzeugt, daß die Quorrl die Tore einfach durch ihr bloßes Herannahen aufsprengen konnten, wenn sie es wirklich wollten. Großer Gott, er hatte nie begriffen, was das hieß —
vierzigtausend Quorrl!
Vierzigtausend Giganten, jeder einzelne eine Kampfmaschine, die es mit einem Dutzend normaler Männer aufnehmen konnte!
Plötzlich gellten hinter ihm Schreie auf. Skar drehte sich im Sattel herum, zugehe in der gleichen Bewegung sein Pferd — und fuhr erschrocken zusammen, als er die schlanke Gestalt sah, die tief über den Rücken ihres Pferdes gebeugt über den Hof geprescht kam. Ihr blondes Haar wehte wie ein Schleier hinter ihr her, und in ihrer Hand blitzte ein Schwert, mit dem sie nach jedem schlug, der ihr den Weg zu versperren suchte.
»Kiina!« keuchte er. »Bist du...« Er riß beide Arme in die Höhe und brüllte, so laut er konnte: »Das Tor zu! Haltet sie auf!!«
Seine Worte kamen zu spät. Die Torflügel hatten längst begonnen, sich hinter ihm zu schließen, aber sie taten es so langsam, wie sie sich geöffnet hatten. Einer der Veden versuchte auch tatsächlich, sich Kiina in den Weg zu stellen, aber sie ritt ihn einfach über den Haufen, war mit einem Satz durch das Tor und zügelte ihr scheuendes Pferd unmittelbar neben ihm.
Skar griff mit der linken Hand nach dem Zügel des Tieres und brachte es mit einem Ruck zur Räson, packte Kiina dann bei der Schulter und versetzte ihr mit der anderen Hand eine schallende Ohrfeige.
»Bist du wahnsinnig geworden?« schrie er. »Willst du dich und uns alle umbringen?«
Kiina war unter seinem Hieb zurückgetaumelt und kämpfte einen Moment lang mühsam darum, nicht aus dem Sattel zu stürzen. Dann preßte sie die Hand gegen ihre Wange. In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie Skar ansah. Aber es war nur der Schmerz seines Schlages.
»Ich bleibe bei dir«, erklärte sie festentschlossen. »Du mußt mich schon fesseln, wenn du das verhindern willst, Skar.«
Skar starrte sie an. Seine Gedanken überschlugen sich. Für einen Moment hatte er Lust, ganz genau das zu tun, was Kiina vorgeschlagen
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