Enwor 7 - Das schweigende Netz
wirklicher Name gewesen war, den sie an ihre Tochter weitergegeben hatte —, und ein sonderbares Gefühl von Sehnsucht machte sich in ihm breit. War das die Ursache für seine grundlose Aggressivität diesem Mädchen gegenüber? dachte er verstört. Feindete er es nur so an, weil er seine Mutter vielleicht doch geliebt hatte, ohne es bisher zu wissen?
Er schüttelte den Gedanken mühsam ab und deutete auf die Phiole. »Hast du es ausprobiert?«
Bradburn nickte und trank einen weiteren Schluck Wein. Das Zittern seiner Hände hörte allmählich auf. Er sah müde aus, fand Skar. Nicht körperlich, sondern auf schwer in Worte zu fassende Weise im ganzen. Wie ein Mann, der einfach zu lange gelebt hatte. »So gut ich konnte«, erklärte er mit einem neuerlichen Achselzucken. »Ich gab einen Tropfen davon in ein Gefäß mit Wasser. Anschließend habe ich einen der Hunde davon trinken lassen. Er fiel um wie vom Blitz getroffen, kaum daß er das Wasser
berührt
hatte. Und die beiden Männer, die mir geholfen haben, wurden krank.« Er machte eine beruhigende Handbewegung, als Del etwas sagen wollte. »Nicht schlimm«, fügte er hinzu. »Sie werden es überleben, aber die Symptome sind eindeutig — sie klagen über Kopfschmerz und Übelkeit, und sie haben Fieber bekommen. Es reicht offensichtlich schon, nur die Dämpfe einzuatmen.«
»Und das soll keinen Sinn ergeben?« fragte Del zweifelnd.
»Nein«, antwortete Skar an Bradburns Stelle. Er deutete auf das Giftfläschchen. »Das Zeug da im Brunnen hätte ein paar Dutzend von uns umgebracht. Schlimmstenfalls ein paar Hundert. Aber wir sind über vierzigtausend. Und wir werden
sechzigtausend
sein, wenn die Männer aus Denwar erst einmal eingetroffen sind.« Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hatte sie wirklich vor, es vom Rücken ihrer Daktyle aus auf unsere Köpfe herabzuschütten.« Er glaubte selbst nicht an diese Möglichkeit, und Del und Bradburn machten sich nicht einmal die Mühe zu antworten.
»Wir müssen noch einmal dorthin«, entschied Bradburn nach einer Weile. »Zu den Felsen, zwischen denen du die
Errish
gefunden hast.«
»Wozu?« fragte Skar, ein kleines bißchen zu heftig, als daß Bradburn oder Del sein Erschrecken noch entgehen konnte. Er machte eine verlegene Handbewegung. »Ich meine — was versprichst du dir davon? Die
Errish
wird dir kaum noch irgendwelche Fragen beantworten können, weißt du?«
Bradburn starrte ihn an, und auch zwischen Dels Brauen entstand eine steile Falte, die mehr über seine Gedanken aussagte als das spöttische Lächeln, das auf seinen Lippen lag.
»Manchmal reden Tote noch«, erwiderte Bradburn schließlich. »Es wäre nützlich, zum Beispiel zu wissen, wie sie gestorben ist. Oder ihr Gepäck zu untersuchen.« Er machte eine flatternde Handbewegung zur Decke hinauf. »Wieso reiten wir nicht gleich jetzt?«
Diesmal schüttelte Skar zu Recht den Kopf. »Es ist zu spät«, stellte er fest. »Es wird dunkel, bis wir unten am Fluß sind. Und ich bin nicht sicher, ob ich die Stelle in der Nacht wiederfinde.« »Außerdem ist das Gelände dort unten schwierig«, pflichtete ihm Del bei. »Wir haben nicht viel davon, wenn du mit einem gebrochenen Bein zurückkommst. Ich —«
Er sprach nicht weiter, denn in diesem Moment drangen vom Korridor schwere, stampfende Schritte herein, und der Schein einer Fackel huschte über die matt beleuchteten Wände, gefolgt von einem riesigen, verzerrten Schatten.
Ein Quorrl?
dachte Skar verblüfft.
Hier unten?
Das war sonderbar — er hatte selten Quorrl in den unterirdischen Teilen der Festung gesehen; sie mieden Bradburns Nähe, und dazu kam, daß sie geschlossene Räume und erst recht Höhlen so sehr verabscheuten, wie Bradburn sie zu lieben schien. Er tauschte einen raschen Blick mit dem Prediger und erkannte, daß auch Bradburn überrascht aussah; ja, beinahe ein bißchen erschrocken.
Seine Verwirrung wurde zu leiser Sorge, als er erkannte,
wer
der Quorrl war, der die Kammer betrat — niemand anderes als Titch nämlich, der jetzt zwar nicht mehr seine goldfarbene Prachtrüstung trug, aber kaum weniger barbarisch aussah als vorhin oben auf dem Hof. An seinem Gürtel hing noch immer das gewaltige Zweihand-Schwert, das so lang war, daß seine Spitze bei jedem Schritt des Quorrl den Boden berührte und regelmäßig hell klingende Laute von sich gab. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Klinge zu säubern. Und auch an seinen Händen klebte noch Blut.
Del atmete scharf
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