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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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hinauf. Je zwölf rote Säulen, deren Kapitelle mit gemeißelten Emblemen aus Jade verziert waren, trugen die mit goldenen Ziegeln gedeckten Dächer, die steil aufwärtsstrebten und so die harmonische Begegnung von irdischer und himmlischer Welt darstellten. Und um das Glück des Himmelssohnes und seiner Kaiserin noch zu erhöhen, erstreckte sich zwischen beiden Herrschersitzen ein Wassergarten, und das bleiche Mondlicht fiel auf eine feierliche Bogenbrücke und auf zwölf Bäume, die sich wie in einem Kniefall geisterhaft im Wasser spiegelten.
    Doch es war nicht diese grandiose Schönheit, die mir den Atem stocken ließ: Es waren die Soldaten, die immer im Abstand von nur wenigen Schritten rund um die Mauern des Sockels postiert waren.
    »Heilige Shola«, flüsterte ich. »So viele.«
    Der Eunuch sah mich kurz an. »Um die Residenz der Kaiserin sind es weniger«, sagte er leise.
    Das war einleuchtend, denn sie stand leer. Sethon hatte seine Frau noch nicht berufen, an seiner Seite als Kaiserin auf dem Thron zu sitzen. Doch auch mit weniger Wachen wäre die breite Straße zwischen der Residenz und dem Westtempel eine hervorragende Falle, sofern der Eunuch doch vorhatte, uns zu verraten.
    Vida umklammerte ihr Messer fester; offenbar war sie zu dem gleichen Schluss gekommen. Sollte es einen Kampf geben, würde ich nicht viel tun können. Bei jedem Schritt quoll mir das Blut zwischen den Fingern hervor, und meine Haut war eiskalt. Schlimmer noch: In meinem Kopf war eine solche Leere, dass die Welt kippte und schwankte.
    Wir gingen am Rand des Vorplatzes entlang und der Eunuch sorgte dafür, dass wir knapp außerhalb des Lichtscheins blieben, den die Kohlebecken aus Messing warfen. Die beiden Soldaten vorn an der Ecke der Residenz der Kaiserin wandten sich zu uns hin, um zu sehen, wie wir vorbeigingen. Ich presste meine Finger fester um den Arm und hoffte, sie würden meinen blutgetränkten Seidenärmel nicht bemerken. Ein seltsames Geräusch ertönte, und ich blickte auf: Ein Soldat warf mir eine Kusshand zu und wies dabei auf seine Leisten. Sein Kamerad schnaubte, und das erregte die Aufmerksamkeit zweier etwas entfernt stehender Wächter. Der Eunuch wandte sich zu uns um und in seinen geweiteten Augen stand nackte Angst.
    »Schau nach vorn«, flüsterte Vida ihm energisch zu. Er gehorchte, doch sein Körper war ganz steif vor Furcht.
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Dela dem herumwirbelnden Kusshandwerfer eine obszöne Geste zeigte. »Das hättest du wohl gern«, rief sie mit rauer Stimme.
    Er machte noch eine Geste und ließ es dann gut sein.
    Ich hob das Kinn und bemühte mich, gleichmäßig zu atmen.
    »Immer schön weitergehen«, drängte Dela leise.
    Wir bogen in die breite Straße zwischen dem Tempel und der Residenz der Kaiserin ein. Ganz am Ende erhob sich die große Mauer des Palastes und darunter verlief die dunkle Spur des Dienstbotenwegs. Er war so weit weg! Wir mussten längs der Sockelmauer noch an mindestens zehn Wächtern vorbei. Ich richtete den Blick zu Boden und achtete darauf, mit dem forsch ausschreitenden Eunuchen mitzuhalten. Ein faszinierendes Muster aus hellen und dunklen Steinen zog unter meinen Füßen dahin. Ich zählte die Wächter, um mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf meinen rasenden Herzschlag. Vier … fünf … sechs. Alles in mir horchte auf einen Schrei oder auf das Zischen einer Klinge, die gezogen wird, doch ich hörte nur meinen keuchenden Atem und das schrille, klopfende Quaken der Frösche im Wassergarten.
    Endlich ragte die Palastmauer vor uns auf. Wir kamen am letzten Wächter vorbei und ich sah, wie er den Kopf drehte und uns nachblickte. Mich überkam der Drang, das letzte Stück zu rennen, und ich packte Vida am Arm und betete darum, dass ich nicht strauchelte. Schließlich betraten wir den knirschenden Kies des dunklen, schmalen und, den Göttern sei Dank, menschenleeren Dienstbotenwegs.
    Dela führte uns hinter die dichte Hecke, die angepflanzt worden war, um den Weg vor den Blicken zu verbergen, und Vida schleifte mich fast den halbdunklen, von Schlaglöchern übersäten Weg entlang, bis ich stolperte und der Länge nach hinfiel, sodass Schmutz und Steine aufwirbelten. Starke Hände packten mich unter den Achseln und setzten mich auf den unebenen Boden.
    »Steckt den Kopf zwischen die Knie«, sagte Dela und drückte meinen Kopf nach unten. Dann kauerte sie vor mir nieder und löste meine Hand von meinem Arm. Die nasse Bandage blieb an meiner Handfläche

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