EONA - Das letzte Drachenauge
kleben, und als das Tuch an der Wunde riss, entfuhr mir ein Keuchen.
»Tut mir leid«, flüsterte Dela. »Vida, ich glaube, sie blutet immer noch. Besorg etwas anderes, um sie zu verbinden.«
Ich ließ den Kopf hängen und atmete gegen den Schmerz an. Wieder drehte sich alles vor mir.
Vida nahm Delas Platz ein. »Lasst mich mal sehen.«
Der Eunuch spähte über ihre Schulter. Sie hielt meinen Arm fest, zog die Bandage noch ein Stück weiter ab und stöhnte leise und besorgt auf. »Es ist zu dunkel, um wirklich etwas zu erkennen, aber so wie sich der Verband anfühlt, habt Ihr viel Blut verloren.«
Sie wickelte ihre Schärpe von der Taille, faltete sie zu einem Kissen, drückte es auf den nassen Verband und verknotete die Enden.
»Haltet ihn an die Brust gedrückt«, sagte sie und hob meinen Arm quer vor meinen Körper. Im schwachen Mondlicht sah ich, wie sie die Stirn runzelte. »Eure Haut ist ganz kalt.«
Ich packte ihren Ärmel. »Lass nicht zu, dass ich ohnmächtig werde. Wenn ich bewusstlos bin, kann ich Ido nicht heilen. Und dann ist alles verloren.«
Bei der Nennung von Idos Namen wich der Eunuch zurück. »Meint Ihr Lord Ido, das Drachenauge? Den Gefangenen?« Er trat noch ein paar Schritte zurück und die Kiesel knirschen laut in der plötzlichen, angespannten Stille. »Ich dachte, ihr wärt Blütenfrauen. Wer seid ihr?«
Dela trat auf ihn zu und streckte die Arme vor, als wenn sie ein nervöses Pferd beruhigen wollte.
»Schon gut«, sagte sie und schlug ihm ins Gesicht. Der Schlag kam so schnell und mit solcher Wucht, dass er rückwärtstaumelte, mit dem Hintern im Kies landete und umsackte.
Ich starrte auf die reglose Gestalt: auf dem Arsch gelandet wie der verschnittene Clown im Singspiel.
Bei diesem grotesken Vergleich schlug mein Schrecken um, und ich wurde von einem Lachanfall geschüttelt. Ich versuchte, den albernen Ausbruch zu unterdrücken – es war gefühllos und falsch –, doch es brach in unkontrollierbarem Gekicher aus mir heraus. Ich presste die Hand auf den Mund. Es musste aufhören. Der arme Eunuch war bewusstlos geschlagen. Wir waren in höchster Gefahr. Und das war plötzlich urkomisch. Ich schaukelte vor und zurück, schob mir die blutigen Fingerknöchel in den Mund und versuchte, den Lachanfall zurückzudrängen, bei dem ich prustend nach Luft ringen musste.
Vida starrte mich an und ein erschrockenes Lächeln spielte um ihre Lippen.
»Hört auf«, zischte sie, doch ihre Worte gingen in ein hicksendes Gekicher über. Sie presste beide Hände auf den Mund. »Hört auf.« Doch ihre Schultern bebten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Bei diesem Anblick musste ich noch unbändiger loslachen.
Dela legte mir die Hände auf die Schultern und hielt mich fest.
»Eona, beruhigt Euch. Ihr habt viel Blut verloren. Ihr müsst Euch beruhigen !«
Der dringliche Ton in ihrer leisen Stimme drang durch meine Hysterie. Ich holte tief Luft und rang um Fassung. Das aufgedrehte Kichern ebbte ab und nur der pochende Schmerz in meinem Arm blieb zurück.
Dela sah Vida an. »Ich weiß nicht, was du für eine Entschuldigung hast«, sagte sie scharf.
Vida wischte sich über die Augen. »Tut mir leid.«
»Steh auf und hilf mir, ihn unter die Hecke zu rollen.«
»Ist alles in Ordnung mit ihm?«, fragte ich.
»Er lebt noch, falls Ihr das meint.« Dela fasste mich unter den Achseln und half mir auf. Einen Moment lang blieb alles ruhig, doch dann rauschten die Hecke und die Mauer an mir vorbei, und mir wurde wieder übel. Ich schwankte und sank zurück in Delas Arme.
»Eona?« Ihr Gesicht verschwamm immer wieder vor mir.
Mein Herzschlag dröhnte in den Ohren, und hämmernde Kopfschmerzen pochten im gleichen unheilvollen Takt.
»Bringt mich zu Ido, schnell«, sagte ich und es fühlte sich an, als hätte ich Schlamm im Mund.
14
D ela zog mich höher auf ihren Rücken und schlich sich in den halbdunklen Säulenvorbau des Pavillons der Herbstlichen Gerechtigkeit. Unter meinem gesunden Arm, den ich fest um sie geschlungen hatte, spürte ich, wie ihre Brust sich nach dem anstrengenden Lauf vom Pavillon der Fünf Geister hierher stoßweise hob und senkte. Ich blinzelte, um gegen meine Müdigkeit anzukämpfen. Ich durfte nicht einschlafen. Schon zweimal war ich mit einem Fuß in der Schattenwelt gewesen und nur Vidas Wachsamkeit hatte mich davor bewahrt, bewusstlos zu werden.
Delas rasches Atmen ging in einen langen Seufzer über: Der Portikus war leer. Yuso und Ryko waren noch nicht da.
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