EONA - Das letzte Drachenauge
was Rilla mir bedeutete: Sicherheit und Wärme und ein Lächeln voller Wahrhaftigkeit. Hinter ihr stand Lon, der große Leibwächter, und auf den Armen hielt er Charts geliebte und verwachsene Gestalt. Ich lief in dem Moment los, als Rilla sich ihrerseits mit ausgestreckten Armen zwischen den Bänken hindurchzuarbeiten begann. Auch ich streckte ihr die Hände entgegen.
»Ihr seid in Sicherheit!« Meine Worte klangen eher wie ein Schluchzen, da ihre feste Umarmung mir die Stimme nahm. Ihre Wange lag weich an der meinen und ich sog ihren vertrauten Geruch ein – diese Mischung aus süßer Seife und harter Arbeit.
»Mylord« – sie lachte mit belegter Stimme auf – »ich meine, Mylady. Wir haben so viele verschiedene Geschichten gehört.« Sie löste sich von mir, um mich anzuschauen. Ihre Freude hielt sie nicht davon ab, mich rasch zu mustern. »Ihr seid müde, glaube ich.« Ihre Miene zeigte, wie scharf sie mich beobachtete. Sie hatte bereits erkannt, dass es mehr war als nur Müdigkeit. »Und Ihr hinkt nicht mehr.«
»Ich erzähle Euch später alles«, sagte ich.
Lon blieb neben uns stehen und hatte Mühe, Chart zu halten, der vor Aufregung mit allen Gliedern um sich schlug. Obwohl seine Muskeln verkürzt und verdreht waren, hatte er doch den Körper eines Fünfzehnjährigen und konnte damit austeilen. Einige in der Nähe Sitzende wichen vor ihm zurück und machten mit den Fingern das Zeichen zur Abwehr des Bösen.
»Lady … Eon … a!«, lallte Chart und streckte die Hände nach mir aus.
Ich ergriff seine dürren Finger. Seine Befreiungsmarke – der Beweis seiner Entlassung aus der Leibeigenschaft, den ich ihm gegeben hatte – hing an einem Lederband um seinen Hals. Dieses Symbol seines Status als Freimann hatte für die Leute hier im Osten allerdings offenbar keine Bedeutung; sie sahen nur seinen verwachsenen Körper.
Mir kam eine Idee. Ob ich Chart mit meiner Macht heilen und seinen Körper gerade machen konnte?
Sein Mund verzog sich zu seinem langsamen Lächeln. »Du siehst … gar nicht … schlecht aus … als Mädchen.«
Ich grinste und beugte mich näher zu ihm hin. »Denk an all die verpassten Chancen, mich zu begrapschen.«
Chart öffnete den Mund zu seinem rauen Lachen und richtete sich in Lons Armen auf. Ich lächelte den groß gewachsenen Mann an. »Hallo, Lon – wie geht es dir?« Leise setzte ich hinzu: »Hat man euch gut behandelt?«
»Ja, Mylady.« Er senkte den Kopf. »Wir sind alle wohlauf. Und freuen uns, dass Ihr in Sicherheit seid.«
»Lady Eona«, rief Kygo forsch, doch er lächelte dabei. »Ich verstehe Eure überschwängliche Freude über die Rückkehr Eurer Freunde und freue mich mit Euch, aber wir müssen fortfahren.«
Seine Stimme klang unbeschwert, doch ich nahm die Spannung darin war. Beschämt sah ich mich nach meiner Mutter um; auch sie hatte meine Freude sicherlich bemerkt. Doch sie lächelte mich an und das freundliche Verständnis in ihrer Miene brachte mich dazu, zurückzulächeln.
»Natürlich, Majestät, wir müssen fortfahren«, sagte ich laut und wandte mich an Rulan. »Meinen Dank an Euch und Eure Leute dafür, dass Ihr meine Freunde gefunden habt.« Ich fasste Rilla bei der Schulter und führte alle drei zu der erhöhten Bank. »Kommt, setzt euch zu mir.« Bei meiner mit fester Stimme erteilten Anweisung blieben die Türhüter stehen, die offensichtlich vorgehabt hatten, Chart aus dem Versammlungszelt zu entfernen. Sie warfen Rulan einen Blick zu und zogen sich auf eine Handbewegung von ihm hin zurück. Ohne auf das unterschwellige erschrockene Geraschel im Zelt zu achten, kehrte ich an meinen Platz neben Kygo zurück, während Rilla und Lon sich mit Chart auf die Teppiche zu meinen Füßen setzten.
»Ihr habt in der Tat gut überlebt, auch ohne den Segen eines Drachen«, sagte Kygo zu den Versammelten. »Und euer Kampfesmut ist ebenso legendär wie euer kriegerisches Geschick.« Er berührte die Kaiserliche Perle an seinem Hals, deren fahles Leuchten alle Blicke anzog. »Wie ihr seht, bin ich der rechtmäßige Thronerbe. Die Perle ist in mir, sie ist ein Teil von mir. Und mit der Macht des Spiegeldrachen und des Rattendrachen werden wir im bevorstehenden Kampf siegreich sein.«
Rulan brachte das anschwellende Gemurmel mit der flachen Hand zum Verstummen. »Wir erkennen Euer Recht auf den Thron an, Majestät«, sagte er. »Aber bei allem schuldigen Respekt – Ihr habt uns ein Mädchen gebracht, das fast noch ein Kind ist, und einen Verräter, der seine
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