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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Fenster und öffnete die Läden, doch mein Blick fiel auf ein baufälliges, vom Dreiviertelmond geisterhaft beleuchtetes Gebäude hinter der Außenmauer. Man hatte also keinen Blick in den Stallhof.
    Dela tätschelte mir die Schulter. »Keine Sorge. Wir sind bald zurück.«
    Ich nickte widerstrebend. »Wünscht ihm Glück von mir.«
    Dela drückte mir ein letztes Mal die Schulter und ging auf den Flur. Vida ließ ihren Korb auf den Boden knallen und folgte ihr ohne einen Blick zurück. Zwei Schatten liefen über die Papierwand und verschwanden.
    Einen verrückten Moment lang wollte ich Dela nachrennen und ihr sagen, sie solle mit Rykos Befreiung warten, bis alle im Gasthof schliefen. Aber vielleicht war jetzt genau der richtige Zeitpunkt, da Haddo und seine Männer ihr Lager aufschlugen und es nicht weiter auffiel, wenn ein Leibeigener einen Wagen reinigte.
    Ich schob den Paravent wieder vor die Tür und sah mir das Zimmer erneut an. Plötzlich kam es mir vor wie ein Gefängnis. Ich zählte, wie viele Schritte der Raum maß: achtzehn Fuß. Und zwölf in der Länge. Fast fünf Jahre lang hatte ich als Junge gelebt, und selbst als bescheidener Anwärter um eine Stelle als Lehrling bei den Drachenaugen hatte ich mehr Freiheiten gehabt als in meiner gegenwärtigen Rolle als Frau. Statt mit den Füßen einen Raum auszumessen, sollte ich unten sein und Ryko helfen. Ich packte mit der Hand einen Zipfel meines langen Gewands. Selbst meine Kleidung zielte darauf ab, jede Bewegung zu hemmen. Wenn man den Saum in die Schärpe stopfte, war das Gehen leichter, doch wohin hätte ich mich aufmachen sollen?
    Ich nahm den Trauerkopfschmuck ab und grub die Fingerspitzen in meine feste Krone aus Zöpfen; Dela oder Vida hatte mein Haar nach Art einer trauernden Mutter geflochten. In der Saline hatte ich gesehen, wie meine Freundin Dolana das Gleiche für eine Frau tat, deren Sohn an der Tränenkrankheit gestorben war. Obwohl wir versucht hatten, die arme Frau zu trösten und die Todesrituale zu befolgen, war ihre Trauer allmählich in Wahnsinn übergegangen, bis sie sich schließlich die Haare ausgerissen und sich mit Salz geblendet hatte.
    Meine Gedanken kehrten zurück zu Leutnant Haddo. Er war ein freundlicher Mann, der offenbar selbst unter dem Verlust eines Sohnes litt, und doch war er ein Soldat, der den Befehl hatte, mich gefangen zu nehmen und meine Freunde zu töten. Ich warf den Kopfschmuck auf das zusammengerollte Bettzeug und ging wieder durch das Zimmer. Unsere Pilgerverkleidung schien nur ein schwacher Schild zu sein gegen solche Unbarmherzigkeit. Ein Fehler, ein winziger Moment der Unachtsamkeit konnte uns alle ans Messer liefern. Doch ich war es ja gewohnt, so zu tun, als ob – um des Überlebens willen zu lügen, war mir zur zweiten Natur geworden.
    Das Eintreten eines Dienstmädchens unterbrach mein ruheloses Auf- und Abgehen. Sie wuchtete die versprochene Matte herein und versicherte mir mit scheuem Murmeln, unser Essen werde bereits zubereitet.
    Als sie gegangen war, hockte ich mich unter die Lampe und wickelte mir die schwarze Perlenkette vom Arm, um Kinras Tagebuch loszumachen. Es hatte keinen Sinn, bei der Gefahr zu verweilen, die Haddo und seine Männer darstellten. Das schürte nur meine Angst. Stattdessen zwang ich mich, eine Seite des kostbaren Buchs zu lesen, doch ich konnte nur eines der verblassten Schriftzeichen erkennen: Pflicht .
    Während der wenigen Erholungstage im Fischerhaus hatte Dela damit begonnen, mir die Frauenschrift beizubringen. Dieses Wissen wurde gewöhnlich von der Mutter an die Tochter weitergegeben, doch als ich in die Leibeigenschaft verkauft wurde, war ich noch zu jung gewesen für diese Geheimnisse. Meine Fortschritte waren quälend langsam und die alte Schrift erschwerte die Aufgabe, die unverschlüsselten Teile des Tagebuchs zu lesen. Selbst Dela hatte Schwierigkeiten, sie zu entziffern, und ich kannte noch immer erst ungefähr zehn Schriftzeichen, also nicht genug, um herauszufinden, was ich unbedingt wissen musste: wie ich meine Macht beherrschen und die zehn beraubten Drachen fernhalten sollte.
    Ein Getuschel störte mich in meiner Konzentration. Waren Dela und Vida schon zurück? Ich gab mir alle Mühe, zu hören, wer da redete: zwei Männer, unten in der Diele. Also nicht meine Freunde. Ich schob das kleine Buch zurück in den Ärmel und band es mit der Perlenschnur wieder fest um meinen Unterarm.
    Ich ging auf alle viere und legte ein Auge an eine große Ritze zwischen den

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