EONA - Das letzte Drachenauge
haben kann?«, höhnte er.
Ich ließ ihn jäh los.
»Ihr seid nicht die Frau, für die ich Euch gehalten habe«, sagte er. »Ihr habt nicht das Zeug zu einer wahren Königin.«
»Nun, Ihr seid genau der Mann, für den ich Euch gehalten habe«, fuhr ich ihn an.
Hoffentlich konnte er nicht die bittere Wahrheit in meinem Herzen lesen: Etwas in mir hatte ihm geglaubt, als er sagte, ich hätte ihn verändert. Wie konnte ich nur so naiv sein? Er war noch immer der gleiche rücksichtslose und ichsüchtige Ido. Ich war es, die sich verändert hatte, nachdem ich hineingezogen worden war in seine Welt von Macht und Möglichkeiten.
Kygo gab Ido einen Stoß gegen die Schulter. »Antwortet ihr! Ist das Righi der einzige Weg, das zu tun?«
Ido trat zurück und nahm eine abwehrende Haltung an. »Ja.«
Er sagte tatsächlich die Wahrheit und ich spürte, wie die Angst sich zentnerschwer auf meine Schultern legte. Schon gegen Dillon hatte ich das Righi kaum kontrollieren können – und nun lag die Kraft zur Erneuerung darin und die Macht aller Drachen. Mochten die Götter uns beistehen! Und wenn sie das nicht konnten, dann konnte ich wenigstens Kygo beschützen.
Ich zog ihn am Arm. »Ihr müsst von der Plattform herunter.« Mit einem Seitenblick schloss ich den Contraire in meine Bitte ein. »Ihr auch, Dela. Helft Tozay. Verlasst die Plattform. Ihr habt ja gesehen, was mit Dillon passiert ist.«
»Ich gehe nirgendwohin«, erwiderte Kygo und hob das Schwert auf, das ich hatte fallen lassen. Kinras Schwert.
»Ich auch nicht, Eona«, sagte Dela.
»Doch, ihr müsst beide gehen. Ich weiß nicht, ob ich euch beschützen kann.«
Kygo schüttelte den Kopf. »Ich lasse Euch nicht allein mit Ido.«
Das Drachenauge drehte sich einmal um sich selbst, beobachtete dabei die Drachen und fuhr sich durchs Haar.
Kygo sah Dela an. »Bringt Tozay ein paar Stufen weiter hinunter. Ich will, dass ihr zwei in Sicherheit seid. Das ist ein Befehl.«
Sie zögerte.
»Geht!«
Dela verbeugte sich. »Jawohl, Majestät.«
Sie gab mir das Bündel. Die Perlenschnur wand sich unter dem Stoff und stieß nach meinen Händen. »Eona, bitte seid vorsichtig«, sagte sie. »Ich habe schon einen Menschen verloren …« Sie legte den Kopf in den Nacken und schluckte voll Kummer. »Seid einfach vorsichtig.«
Zusammen zogen sie und Kygo Tozay auf die Beine. Er war noch immer benommen, aber er konnte gehen. Dela stützte ihn, sodass er zum Rand der Plattform humpeln konnte. Als sie ihm die erste Stufe hinunterhalf, blickte sie zurück und drückte die Faust gegen die Brust. Der Kriegergruß. Ich fühlte mich nicht wie eine Kriegerin. Ich hatte Angst. Da fiel mir ein, dass Ryko mir im Palast gesagt hatte, ich hätte den Mut eines Kriegers. Er hatte so an mich geglaubt! Und für diesen Glauben war er gestorben.
Ich hob die Faust an die Brust. Für Ryko und für Dela. Mit einem Nicken drehte sie sich um und führte Tozay die Stufen hinab.
»Was muss ich tun?«, fragte ich Ido.
»Steigt auf das Podest«, sagte er und wies mit dem Kopf auf die kleine Bühne. »Das ist der höchste Punkt, und sobald das Righi die Kaiserliche Perle entzündet hat, kommt der Spiegeldrache und holt sie.«
Ich sah den roten Drachen an, der mich aus riesigen Augen beobachtete. Kinras geflüsterte Bitte ging mir durch den Kopf: Bring es in Ordnung. Ich folgte Ido über die Plattform zum Podest und hielt das sich windende Bündel von mir weg. Kygo ging neben mir.
»Habt Ihr die Kaiserliche Perle?«, fragte ich.
Er öffnete die Faust. Über das Schmuckstück huschten lauter silbrige Streifen. »Sie ist heiß«, sagte er.
Ich legte die Finger auf die glatte, bleiche Rundung. Sie war inzwischen so heiß, dass man sich fast verbrannte.
Wir standen kurz da, die Kaiserliche Perle in unseren Händen. »Für mich seid Ihr eine Königin«, sagte Kygo leise und drückte seine Lippen auf meine Stirn.
»Wie rührend«, sagte Ido gedehnt. »Eona, steigt auf das Podest.«
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und betrat die kleine Bühne. Kygo bezog daneben Posten, das Schwert auf Ido gerichtet.
Jenseits des Kreises aus sich wiegenden Drachen sahen die kümmerlichen Reste der beiden Armeen aus misstrauischem Abstand zu. Die dunklen Wolken über uns hatten den hellen Tag getrübt und in ein frühes Dämmerlicht getaucht. In der Luft lag noch der würzige Duft der Drachen ringsum und die Hitze rührte ebenso von ihrer irdischen Präsenz her wie von dem heißen Wind, der mir das Haar in den
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