EONA - Das letzte Drachenauge
Vidas Sachen da, während sie sich mühsam meine nasse Unterkleidung, meinen Rock und mein Gewand überzog.
»Es tut mir leid«, murmelte ich.
Sie warf mir einen finsteren Blick zu.
Ich nestelte am Ausschnitt ihres Kleides, das Vidas Rundungen züchtig bedeckt hatte, das an mir jedoch zu tief herunterhing und zu weit war und meine vorstehenden Schlüsselbeine betonte. Ich zog es hoch und raffte mit der anderen Hand den losen Taillenstoff zusammen.
»Lasst Euch von mir helfen.« Dela wickelte mir die raue Schärpe um. »So sitzt es, wie es sitzen soll.«
Sie zog und band so lange herum, bis alles bedeckt war, doch der Halsausschnitt saß noch immer zu tief. Ich drückte die Hände auf meine bleiche Brust; das Kleid betonte nämlich nicht nur meine Schlüsselbeine.
Vida bückte sich und hob meinen Beutel auf. »Mylady, vergesst den nicht«, sagte sie und gab ihn mir.
Ich war mir ziemlich sicher, dass Kinras Totentafel nicht so gefährlich war wie ihre Schwerter, doch ich wollte sie dennoch nicht am Leib tragen. »Lady Dela, könntet Ihr den für mich verwahren?« Ich hielt ihr den Beutel hin. »Zusammen mit dem Tagebuch?«
Dela musterte den Beutel. »Vida, geh zurück zu den anderen«, befahl sie energisch. »Sag Seiner Majestät, wir kommen gleich nach.«
Vida warf ihr einen neugierigen Blick zu, verschwand aber Richtung Wald. Kaum war sie außer Sicht, streckte Dela die Rechte aus, ergriff aber nicht den Beutel, sondern mein Handgelenk. »Was geht hier vor, Eona?«
Ich zog die Hand zurück, doch sie ließ nicht los.
»Ihr wollt weder das Buch noch Eure Schwerter oder Euren Kompass tragen«, fuhr sie fort, »und jetzt soll ich auch noch die Totentafeln Eurer Vorfahren nehmen. Da stimmt etwas nicht.«
Ich biss mir auf die Lippen. Ich hätte bedenken sollen, was für eine scharfe Beobachtungsgabe sie hatte. Immerhin hatte Dela den Kaiserhof durch Geistesgegenwart und Einsicht überlebt. Ich zweifelte nicht daran, dass sie mir helfen wollte – Dela wollte immer helfen. Doch ihr von Kinra zu erzählen, hieße, es auch Ryko zu erzählen – und der würde damit schnurstracks zum Kaiser gehen.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, erwiderte ich. »Es ist alles bestens.« Mit einem weiteren Ruck des Handgelenks befreite ich mich aus ihrem Griff. »Seine Majestät erwartet uns.«
Ich schob den Beutel in Vidas tiefe Gewandtasche. Schon recht bald wäre ich ihr schlecht sitzendes Kleid ja wieder los – und mit ihm Kinras Tafel.
Ich kam vor Dela auf die Lichtung. Sie hatte sich ein wenig zurückfallen lassen – zweifellos, um mich stumm dafür zu tadeln, dass ich ihre Hilfe abgelehnt hatte. Während unserer Abwesenheit war das Lager abgebrochen worden und die Pferde waren gesattelt. Die einzigen Anzeichen unseres Aufenthaltes waren das zertrampelte Gras und die weiche, schlammige Erde rund um die Bäume, an die wir unsere Pferde gebunden hatten.
Der Kaiser wartete schon. Mit verschränkten Armen stand er da und der Rest unserer Truppe kniete in einem lockeren Halbkreis um ihn herum.
»Lady Eona.« Kygo winkte mich zu sich.
Hatte er ihnen bereits gesagt, dass ich sein Naiso war? Alle sahen zu, wie ich über das Gras kam, doch ich sah weder Überraschung noch Missbilligung.
Sie wussten es noch nicht.
Kygo musterte mich rasch. »Ihr seid unverletzt?«
»Ja.« Ich kreuzte die Arme über der Brust. »Danke«, fügte ich verlegen hinzu.
Delas Kommen lenkte seine Aufmerksamkeit von mir weg. Der Contraire verneigte sich tief, murmelte eine Entschuldigung und ließ sich neben Ryko auf die Knie fallen, als ich zum Kaiser trat. Mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete er mir, mich halb links hinter ihn zu stellen.
»Der althergebrachte Platz«, murmelte er an meinem Ohr. »Ihr bewacht meine schwächste Seite«, setzte er hinzu und sein warmer Atem ließ mich erröten.
Keines der sechs müden Gesichter vor mir schien die symbolische Bedeutung meines Platzes zu bemerken. Aber wie auch? Der alte Kaiser hatte nie einen Naiso berufen, und eine Ratgeber in war undenkbar.
Ryko sah mich weiter unverhohlen und mit zusammengepressten Kiefern an. Von Versöhnlichkeit keine Spur. Solly war erwartungsvoll und sein hässliches Gesicht war rot und glänzte in der Hitze vor Schweiß. Vida strich mein nasses Gewand an den Oberschenkeln glatt und achtete dabei auf Kygo. Hauptmann Yuso war wie stets ein wachsamer Vertreter seines Stands. Tiron neben ihm war aufgeregt, gab sich aber alle Mühe, das ruhige Selbstvertrauen seines
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