EONA - Das letzte Drachenauge
leuchtende Schönheit fuhr. Der warme Geschmack nach Zimt in meinem Mund war ein Echo der von der Perle kommenden Hitze. Wie nah sie war! Ich könnte sie aus ihrer Verankerung reißen. Ich wog sie in der Hand, meine Fingerspitzen lagen an Kygos Hals und sein Puls beschleunigte sich bei meiner Berührung.
»Was tut Ihr da?« Seine Rechte schloss sich um mein Handgelenk und ein schwerer goldener Ring schnitt mir ins Fleisch.
Der Schmerz zog mich in einem Farbenstrudel aus der Energiewelt. Ich blinzelte und der Wald bestand nun wieder aus dunklen Umrissen und aus Mondlicht. Kygo starrte mich mit großen, stechenden Augen an. Meine Finger lagen noch immer auf seinem rasenden Puls. Ich riss die Hand weg.
»Ich weiß es nicht.«
Das war meine erste Lüge als Naiso.
7
E ndlich dämmerte der Morgen. Müde stemmte ich mich auf die Ellbogen. Die Falten meines dünnen Schlafteppichs schienen eine Landkarte meiner inneren Unruhe zu sein. Gewiss würde das dunkle Unbehagen bei Tagesanbruch weichen, das mich stundenlang wachgehalten und mich die Liebkosung der Perle immer aufs Neue hatte durchleben lassen. Ich erhob mich auf die Knie und versuchte, die Empfindungen abzuschütteln, die noch immer in meinem Blut nachklangen.
Das, was zwischen uns geschehen war, hatte auch Kygo verwirrt – das wusste ich. Als ich wieder zur Besinnung gekommen war, konnte ich nur noch flüstern: »Ido lebt«, bevor er mir mit heiserer, wütend klingender Stimme befohlen hatte, mich zu entfernen. Womöglich hatte auch er Kinras Gegenwart gespürt.
Und mit diesem Gedanken tat sich eine neue Gefahr auf. Am Vorabend hatte ich Kinras Schwerter nicht in der Hand gehabt, und doch war ich ebenso getrieben gewesen, nach der Perle zu greifen, wie meine Vorfahrin mehrere Hundert Jahre zuvor. Diesmal jedoch hatte es sich anders angefühlt: nicht wütend, sondern aufrichtig sehnsüchtig. Vielleicht war ihr Wille mit dem meinen verschmolzen und ich war ihr so hörig, dass ich den Unterschied nicht erkannte. Diese Möglichkeit griff in mein Inneres wie eine eisige Hand.
Ich ließ die Schultern kreisen, um meine steifen Gelenke zu lockern. Kygo saß noch immer dort, wo ich ihn Stunden zuvor verlassen hatte, hinter Vida und Solly. Obwohl er nichts dergleichen gesagt hatte, war ich mir sicher, dass er vorhatte, Ido zu retten. Begriff er denn nicht, dass er genauso gut eine Schlange am Schwanz fassen konnte? Ich brauchte meine ganze Willenskraft, um ihn nicht anzusehen, und doch wusste ich, dass er jede meiner Bewegungen beobachtete. Sein Hua schien gegen das meine zu drücken.
In der Nähe stand Yuso und stieß Tiron, den jungen Gardisten, mit der Stiefelspitze an, um ihn zu wecken. Würden sie ihrem Kaiser bei einer so gefahrvollen und abscheulichen Unternehmung folgen? Sie waren Kaiserliche Gardisten, doch ich vermochte nicht abzuschätzen, wie weit ihre Ergebenheit ging. Yuso immerhin zweifelte an der Urteilskraft seines jungen Herrn. Vida und Solly dagegen kannten solche Bedenken nicht. Sie gehörten zum Widerstand und ihr Anliegen war es, Kygo auf den Thron zu bringen.
Auch Lady Dela würde Kygo folgen, wobei ihre Treue aus Notwendigkeit heraus geboren war, denn anders als sein Bruder und sein Neffe war Sethon Abweichungen gegenüber nicht tolerant. Vor allem nicht, was Delas Abweichung betraf. Dela saß auf ihrer Decke, das rote Buch schon aufgeschlagen auf den Knien, und sah sehr konzentriert drein. Ab und zu warf sie einen raschen Blick auf Ryko, der am Rand der Lichtung entlangpatrouillierte, doch die Aufmerksamkeit des Insulaners war allein auf den Wald ringsum gerichtet. Ryko war dem Kaiser treu ergeben, doch er würde sich gegen jeden Plan sperren, der Ido einbezog. Er würde allenfalls an dessen Ermordung mitwirken.
»Lady Eona.« Vida verbeugte sich neben mir. »Seine Majestät hat mich geschickt, damit ich Euch helfe.«
Kygo stand mit dem Rücken zu uns und sprach mit Yuso. Vielleicht hatte ich mich getäuscht und er hatte mich gar nicht beobachtet. Andererseits hatte er gewusst, wann er Vida zu mir schicken sollte.
»Hier.« Sie bot mir ihre Hand an.
Als sie mich hochzog, unterdrückte ich ein Stöhnen, um nicht wie eine alte rheumatische Dörflerin zu klingen. Schließlich stank ich schon wie ein Stallbursche.
»Ich muss mich waschen.«
»Das muss schnell geschehen, Mylady. Seine Majestät will, dass wir uns versammeln.«
Schnell würde das nicht gehen, doch ich nickte und humpelte ihr ins Unterholz nach. Wir schlugen uns durch die
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