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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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der Sonnenseite ficht oder mit der Mondseite?«
    Ich versuchte, mir Kygo kämpfend vorzustellen – in welcher Hand hielt er sein wichtigeres Schwert? Ohne dass ich es wollte, stieg das Bild vor mir auf, wie er mir mit der Rechten sanft das Gesicht gestreichelt hatte. »Mit der Sonnenseite«, sagte ich unvermittelt.
    »Natürlich«, murmelte der Arzt. »Der Himmlische Meister ist natürlich mit der Sonnenenergie verbündet.« Er winkte mich an das Lager, das auf vier einfachen Strohmatratzen errichtet war. »Nun, Mylady, nehmt sein Handgelenk und fühlt den Puls zwischen den Sehnen.«
    Behutsam hob ich die Decke und Kygos muskulöser Bauch und seine schlanken Schenkel kamen zum Vorschein. Dazwischen lag nur ein Fetzen Stoff. Die Hitze schoss mir ins Gesicht. »Er trägt nur eine Unterhose«, sagte ich gepresst und starrte grimmig an die Höhlendecke, doch das Bild seines kräftigen Körpers blieb mir deutlich vor Augen.
    »So ist er hier angekommen«, sagte der Arzt. »Entweder hat er seine Kleider abgelegt, um nicht zu ertrinken, oder die Gewalt des Wassers hat sie ihm vom Leib gerissen.« Er beugte sich vor. »Ist das ein Bluterguss? Bitte lasst mich Brust und Rippen sehen.«
    Ich zog die Decke herunter und warf sie hastig über den unteren Teil seines Körpers, und trotzdem hatte ich einen Blick erhascht auf den Muskelstrang zwischen seinem flachen Bauch und den Hüften. Welche Kraft! Und doch so verletzlich!
    Der Arzt beugte sich vor und besah sich Kygos Rippen. Quer über die Brust des Kaisers verlief eine lange Schnittwunde, und blauschwarze Blutergüsse blühten an seiner rechten Seite. Mein Blick glitt über die Kaiserliche Perle, deren gleißende Schönheit einen leichten Druck unten an meinem Schädel erzeugte.
    »Mylady, würdet Ihr bitte ganz vorsichtig durch die Schwellung hindurch auf die Knochen unter den Blutergüssen drücken und mir sagen, was Ihr spürt?«
    »Wird ihm das nicht wehtun?«
    Der Arzt sah mich erstaunt an. »Gute Frage. Spürt ein Patient, dessen Geist in der Schattenwelt ist, Schmerzen oder überhaupt irgendetwas? Das wird in den verschiedenen Schulen heiß diskutiert. Sagen wir, dass er sich jedenfalls, wenn er doch etwas spürt, beim Aufwachen nicht mehr an seinen Groll erinnern wird.« Er lächelte, doch darunter lag eine stählerne Härte. »Mylady, ich muss wissen, ob seine Rippen gebrochen sind und die Atmung blockieren könnten.«
    Unter der sorgsamen Anleitung des Arztes tastete ich die dunkle Schwellung auf Kygos Brust ab. Seine Haut war beruhigend warm und die getrockneten Schlammspritzer machten meine Finger staubig, sodass ich eine Spur auf seinem Körper hinterließ. Nirgendwo am Brustkorb fand ich lockere oder nachgebende Knochen.
    Der Arzt nickte erfreut. »Nur Blutergüsse.« Er bemerkte etwas an Kygos Kopf und beugte sich prüfend vor. »Diese Verletzung an der Schädeldecke – ich kann nicht sehen, wie tief sie ist. Zieht bitte die Kopfhaut ein wenig auseinander, damit ich mir das genauer anschauen kann.«
    Wir tauschten die Plätze. Die Wunde schnitt durch die nachwachsenden Stoppeln auf Kygos rasiertem Schädel neben dem schlammverkrusteten kaiserlichen Zopf. Ich legte meine Finger links und rechts von seiner Verletzung auf die Haut und schob die dünne Haut sachte auseinander.
    Der Arzt sah sich die Wunde genau an und seufzte erleichtert. »Nur ein oberflächlicher Schnitt – das ist eine gute Nachricht. Der Kraftpunkt unterhalb der Schädeldecke ist der Sitz des Geistes. Wenn dieser geschädigt ist, gibt es keine Heilung mehr.«
    Ich nickte. In den Schriften der Drachenaugen hieß der purpurn strahlende Punkt auch Haus der Wahrheit. Er war der Sitz von Einsicht und Erkenntnis und damit lebenswichtig für einen Kaiser.
    Der Arzt führte mich wieder an meinen alten Platz neben Kygo. »Nun fühlt seinen Puls. Auf der Sonnenseite.«
    Ich nahm die Rechte des Kaisers und wiegte seine langen Finger und den breiten Handteller in der meinen. Er trug am Mittelfinger einen Ring, den ich noch nicht genauer angesehen hatte: ein breiter, dicht mit kreisrunden roten Jadesteinen besetzter goldener Reif. Es war ein Blutamulett, wie Leutnant Haddo eines am Hals getragen hatte, und es rief Bross um Schutz in der Schlacht an. Ich berührte den Ring und erwartete, dass das Metall kalt war, doch es war genauso warm wie Kygo. Mit den drei mittleren Fingern tastete ich zwischen den Sehnen seines Handgelenks nach dem stetigen, starken Rhythmus seiner Lebenskraft. Als ich seinen Puls

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