EONA - Das letzte Drachenauge
Baumwolle, Mylady, aber fein gewebt, und es dürfte gut passen. Auch die Farbe steht Euch.«
Ich hörte auf, mir die Arme zu trocknen. »Ihr meint, es steht mir? Welche Farbe hat es?«
»Blau, Mylady.« Sie wies mit dem Kopf auf ein Kleid an der Höhlenwand, das tatsächlich in prächtigem Indigo war.
»Warum steht mir das?« Ich hatte mir kaum je Gedanken über die Farben meiner Sachen gemacht, aber ich hatte mir meine Kleidung bisher noch nie aussuchen dürfen, auch nicht, als ich Drachenauge wurde.
»Bestimmt stehen Euch alle Farben wunderbar«, sagte sie und verbeugte sich.
»Nicht.« Ich legte ihr die Hand auf den Arm, um ihre Ehrenbezeugung zu beenden. »Im Ernst: Warum steht mir Blau? Ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus.« Zu viele Jahre hatte ich als Junge gelebt, als dass ich etwas von weiblichen Künsten verstünde.
Sie versuchte in meinem Gesicht zu lesen. Das hatte auch ich schon getan, wenn Ranghöhere mich nach einer ehrlichen Meinung fragten; nicht alle diese Bitten waren aufrichtig und man handelte sich für die Wahrheit oft schnell eine Ohrfeige ein. »Weil Ihr eine helle Haut habt, Mylady«, erwiderte sie schließlich. »Der Kontrast macht sich gut. Und der Farbton verstärkt das tiefe Rot Eurer Lippen und das Strahlen in Euren Augen.«
Ich betrachtete das Gewand erneut. Das alles nur wegen einer Farbe? Ich fuhr mir mit dem Finger über die Oberlippe und der sanfte Druck beschwor das Gefühl von Kygos Mund auf dem meinen herauf. Er war sein Leben lang von schönen Dingen umgeben gewesen – Kleider, Kunst, Frauen. Gewiss verstand er die Sprache der Farben und Stoffe.
»Gut«, sagte ich langsam. »Ich werde es anziehen.« Dann erinnerte ich mich an meine Schwierigkeiten mit Vidas Gewand. »Wartet! Hat es einen tiefen Ausschnitt?«
»Das sieht nur so aus«, gab Madina mit lächelnden Augen zurück.
Ich war nicht unbeschwert genug, um zu lachen, doch ich brachte ein spöttisches Schürzen der Lippen zustande. »Ich kenne mich mit diesen Dingen nicht besonders gut aus«, sagte ich und wies auf das Kleid, »und ich weiß nichts über Schönheit und Stil.« Ich sah auf meine flache Brust. »Und ich erhebe auch keinen Anspruch darauf.«
»Das stimmt nicht, Mylady«, gab sie zurück. »Man sagt, es gibt vier Sitze der Schönheit.« Sie berührte Haare, Augen, Mund und Hals. »Wir alle haben mindestens einen, viele zwei, manche drei, und bei einigen wenigen Menschen finden sich alle vier in echter Harmonie. Ihr, Mylady, seid mit dreien gesegnet.«
Welche mochte sie meinen? Meine Augen vielleicht und den Mund – ich hatte noch alle Zähne. Aber meinen Hals fand ich nicht elegant und mein Haar war zu dicht und zu schwer.
Ich schnaubte. »Ich bin keine Schönheit.«
Sie neigte den Kopf zur Seite, schürzte die Lippen und schwieg.
»Sagt, was Ihr denkt«, drängte ich.
»Richtig, Ihr seid keine klassische Schönheit, doch Ihr zieht die Blicke auf Euch. Diese Macht habt Ihr doch schon gespürt?«
Wieder errötete ich, diesmal allerdings, weil ich mich ertappt fühlte. Ich hatte bemerkt, wie Kygos Blick mir gefolgt war, und ich hatte meinen seltsamen Einfluss auf ihn gespürt.
Madina tätschelte ihr dunkles Haar, dessen raffiniert geflochtene und hochgesteckte Zöpfe mit grauen Strähnen durchzogen waren. »Doch ich denke, tief in Euch brennt eine andere Art Kraft, Mylady.«
Ich blickte weg. Sah sie, dass ich Kygo begehrte? Nein, das war unmöglich. Vielleicht meinte sie den roten Drachen. »Und welche Kraft?«
»Furchtlosigkeit.«
Ich runzelte die Stirn. Furchtlosigkeit war schließlich keine Kraft, oder? Und ich hatte ganz gewiss schon Furcht empfunden.
Sie wickelte das Tuch wieder um mein Haar und wrang es aus.
»Wir könnten Euer Haar zu einer tief sitzenden Schnecke flechten.« Sie schlang eine dicke Strähne um ihre Finger und drückte sie mir in den Nacken. »Das passt gut zum Ausschnitt des Gewands.«
Ich war versucht, Madinas Kunst in Anspruch zu nehmen, doch ich konnte auf keinen Fall in Kleid und Mädchenzopf bei einer militärischen Besprechung erscheinen. Es war schon schwer genug, ein weibliches Drachenauge zu sein, ganz zu schweigen von einem weiblichen Naiso. Mir war sehr wohl klar, dass ich das Kleid ablehnen sollte zugunsten von Hemd und Hose, doch etwas in mir flüsterte mir ein, es wäre unhöflich, ein Geschenk der Frau des Widerstandsführers zurückzuweisen.
»Ich trage den Doppelzopf der Drachenaugen«, sagte ich. Zufrieden mit diesem Kompromiss, teilte ich
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