EONA - Das letzte Drachenauge
zusammen und irgendetwas Wildes in mir frohlockte.
»Ihr fandet das grausam?« Er ließ mein Handgelenk los und trat einen Schritt zurück. »Der Krieg gegen meinen Onkel hat gerade erst begonnen, Eona. Was ich soeben getan habe, war ehrenhaft im Vergleich zu dem, was noch kommt.«
»Wollt Ihr diesen sittlichen Maßstab an all Eure Taten anlegen?«, fragte ich. »Er wird sich ohne Zweifel jedem Eurer Zwecke so mühelos beugen wie grüner Bambus.«
Er lachte bitter auf. »Spricht da mein Naiso? Oder schärft Euch nur weiblicher Groll die Zunge?«
»Offensichtlich traut Ihr mir nicht. Vielleicht sollte ich nicht Euer Naiso sein.« Mir versagte die Stimme. Wir wussten beide, dass ich nicht nur über diese hohe Stellung sprach.
»Vielleicht habt Ihr recht«, sagte er.
Dieses Mal zuckte ich zusammen. Er ging langsam wieder zum Schreibtisch und ich musterte die unbeugsame Haltung seiner Schultern und seines Nackens. Wie hatte ich nur glauben können, er würde mich schätzen!
»Versprecht mir bei Eurer Ehre, dass Ihr mich nie heilen werdet«, sagte er schließlich.
»Da Ihr meine Ehre so gering achtet«, erwiderte ich und konnte meine bittere Verletztheit nicht verhehlen, »schwöre ich Euch dies bei meinem Leben.«
Er tastete nach der Kaiserlichen Perle an seinem Hals.
»Eona, man hat mir von Geburt an beigebracht, niemandem wirklich zu trauen.« Er sprach so leise, dass ich ihn wegen des Abstands zwischen uns kaum verstehen konnte. Vielleicht sagte er es in entschuldigendem Ton, doch ich war nicht gewillt, es zu hören.
»Bei mir dauert es auch lange, bis ich jemandem traue«, sagte ich. »Vor allem, wenn man mich verraten hat.«
Ich sah, dass diese Worte ihn trafen. Eine ganze Weile lang rührte er sich nicht.
»Es ist gut, dass Gehorsam kein Vertrauen voraussetzt«, erklärte er schließlich, beugte sich über die Karte und drückte die Faust auf das Pergament. »Sagt Viktor und seinen Männern, sie sollen wiederkommen.«
Ich verbeugte mich, zog mich zurück und klammerte mich dabei an meine Wut, um die Tränen aufzuhalten, die in meinen Augen brannten.
11
I ch blieb kurz vor dem Ausgang der Höhle stehen, drückte den weichen Ärmel meines Gewands auf mein nasses Gesicht und lauschte auf Anzeichen, dass er mir nachkam. Die gab es natürlich nicht – ein Kaiser würde nie jemandem folgen, erst recht keiner Frau. Ich konnte nur die Unterhaltung der Männer draußen hören, die darauf warteten, wieder hereingerufen zu werden. Ich wollte nicht zu ihnen hinaus, doch ich hatte keine Wahl. Also zog ich mein Gewand zurecht, wischte mir mit dem Zeigefinger die Tränen aus den Augen und trat ins Licht des neuen Tages.
»Seine Majestät befiehlt eure Rückkehr«, sagte ich und ging eilig an den sich verbeugenden Gestalten vorbei. Ich konnte nirgendwohin, doch ich blieb nicht stehen, sondern gab mir den Anschein, als hätte ich ein Ziel, und schritt kräftig aus.
»Mylady, wartet bitte.«
Ich sah mich kurz um. Vida stand auf der obersten Stufe.
»Was ist?« Ich ging weiter.
Ihr überlanges Kleid mit den Händen raffend, kam sie angerannt und bemerkte meine verquollenen Augen. »Hauptmann Yuso sagte, Ihr bräuchtet Hilfe.«
Ich blieb stehen. »Ach ja?« Ich blickte zur Höhle zurück, doch alle Männer waren hineingegangen. »Und hat er dir gesagt, wobei ich Hilfe brauche?«
»Nein, Mylady.«
»Weil er ein Hurensohn ist.« Diese kraftvolle Beschimpfung verschaffte mir eine gewisse Erleichterung. Eine Frau, die mit einem kleinen Kind an der Hand vorbeikam, straffte sich empört. »Er ist ein Hurensohn und sein Herr ist ein –«
»Madina hat eine Schlafkammer für Euch hergerichtet«, sagte Vida rasch. »Oben in einer der Höhlen. Vielleicht möchtet Ihr Euch zurückziehen?«
Ich rieb mir erneut die Augen und spürte Salzkristalle auf den Wangen. Die Erschöpfung zehrte an mir und mein flammender Zorn klang ab. Plötzlich sehnte ich mich nach Einsamkeit. Jahrelang hatte ich zu den Unberührbaren gehört und war in meinem Unglück oft auf mich allein gestellt. Nun aber war ich nie mehr allein.
Meine Schlafkammer war anscheinend der Wohnraum von jemand anderem und dem Drachenauge eilig zur Nutzung überlassen. Ich ging über die Flickenteppiche auf dem Steinboden und nahm die bescheidene Einrichtung kaum wahr.
»Schaut Euch diese Wandteppiche an«, sagte Vida heiter und folgte mir durch die halbdunkle Höhle. Bloß die Sonne, die durch den von einer schlecht schließenden Holztür nur halb versperrten
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