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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Eingang schien, erhellte den Raum ein wenig. Vida streckte die Hand aus und berührte eines der Kunstwerke. »Sind sie nicht herrlich, Mylady? Solche Arbeiten habe ich noch nie gesehen.«
    Verwirrt betrachtete ich die Darstellung eines langhalsigen Kranichs, der nach einem gestickten Fisch schnappte, dessen goldene Fäden im Licht schimmerten. Das war kein gewöhnlicher Wandbehang. Vielmehr waren fein gewebte Umrisse auf eine Leinwand genäht und dann mit zarten Stickereien versehen worden.
    »Wunderschön«, sagte ich säuerlich.
    Ich wollte keine Kunstwerke bewundern. Ich wollte etwas entzweibrechen oder schreien oder irgendjemanden schlagen. Nein, nicht »irgendjemanden«, sondern Kygo. Ich rieb die Handflächen gegeneinander, um diese Regung aus den Gliedern zu vertreiben. Warum hatte er gesagt, er traue mir, wenn das offensichtlich nicht der Fall war?
    Ich fuhr auf dem Absatz herum, ging im Zimmer auf und ab und nahm meine Umgebung endlich wahr. Bis auf die prächtigen Wandbehänge war die Ausstattung sehr einfach: ein niedriger Hocker aus Holz, eine geflochtene Kleidertruhe und zwei Matten, von denen eine mit Decken als Bett hergerichtet war, während die andere säuberlich zusammengerollt an der Wand stand. Das Schlafgemach eines Paares. Dieser Gedanke entfachte meine Wut erneut und ich lief mit geballten Fäusten durch den Raum.
    »Mylady, vielleicht solltet Ihr Euch hinlegen«, sagte Vida. »Ihr seht sehr müde aus.« Sie prüfte mit dem Fuß die pralle Füllung der Matratze. »Sie ist gut und dick«, sagte sie auffordernd.
    Ich atmete tief durch, um die Fassung wiederzugewinnen, und in diesem Augenblick der Ruhe überkam mich bleischwere Müdigkeit. Vielleicht sollte ich mich wirklich hinlegen. Das letzte Mal richtig geschlafen hatte ich im Wald. Ich erinnerte mich, wie Kygo neben mir gesessen und mir seine warme Hand auf den Arm gelegt hatte. Dort hatte er mich gefragt, ob ich sein Naiso werden wolle. Und dort hatte ich die Perle zum ersten Mal berührt. Tränen schossen mir in die Augen und ich musste blinzeln. War ich tatsächlich nicht mehr sein Naiso? Ich wandte mich rasch ab, um mein Gesicht und meine Gefühle zu verbergen.
    »Gut, ich werde es versuchen«, meinte ich ungnädig. »Du kannst gehen.«
    Sie verbeugte sich und ging auf die Holztür zu.
    »Warte«, sagte ich. »Würdest du bitte etwas für mich tun?« Sie blieb stehen. »Könntest du Ryko suchen und dich vergewissern, dass es ihm gut geht? Aber erzähl ihm nicht, dass du auf mein Geheiß hin fragst.« Meine Stimme zitterte. »Ich denke, er würde es nicht schätzen, wenn du das tätest.« Ich konnte das Schluchzen nicht zurückhalten, das in mir aufstieg. »Jetzt wird er mir nie mehr vergeben.«
    Vida eilte zu mir. »Was denn vergeben, Mylady?« Weitere Schluchzer zerrten schmerzhaft an meiner Brust. Sie nahm mich beim Arm, brachte mich dazu, mich auf das Bett zu setzen, und kniete sich vor mich hin. »Was ist denn passiert?«
    Unter abgehackten Atemzügen schilderte ich die Ereignisse des Morgens. Den Kuss versuchte ich ihr anfangs zu verschweigen, doch die übrige Geschichte ergab keinen Sinn, ehe ich diesen kurzen Moment des Begehrens gestanden hatte. Am Ende meiner gestammelten Schilderung hockte sie sich auf die Fersen.
    »Heilige Shola«, sagte sie.
    »Und jetzt vertraut er mir nicht mehr.« Ich presste die Hände auf die Augen, um einen neuerlichen Tränenausbruch zu verhindern.
    »Es geht Euch nicht um Ryko, nicht wahr?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Sie stieß einen sanften Laut des Mitgefühls aus. »Es ändert sich immer, wenn man sich berührt.«
    Ich ließ die Hände sinken. »Wie meinst du das?«
    »Ihr zwei seid nicht mehr nur Drachenauge und Kaiser oder gar Naiso und Kaiser. Ihr seid auch Frau und Mann.« Sie lächelte schief. »Eine mächtige Frau und ein mächtiger Mann. Kein Wunder, dass ihr einander nicht traut.«
    »Ich traue ihm«, widersprach ich.
    »Ach? Wirklich?«
    Ich wich ihrem prüfenden Blick aus. Die Wut seines Blutrauschs; der Ehrgeiz, mit dem er auf das schwarze Buch gesehen hatte; seine körperliche Wirkung auf mich – das alles ängstigte mich.
    Nachdenklich atmete sie aus. »Meinen Vater bei den strategischen Planungen für den Widerstand zu erleben, hat mich einiges gelehrt über Vertrauen.« Sie beugte sich vor. »Persönliches Vertrauen ist etwas vollkommen anderes als politisches Vertrauen, Mylady. Ersteres lebt von Treu und Glauben, Letzteres dagegen bedarf offener oder verdeckter

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