EONA - Das letzte Drachenauge
Vergnügungsviertels entlangführte. Ein Hinterhof nach dem anderen grenzte an den schmalen Fahrweg – die rückwärtigen Wohnbereiche gewaltiger Häuser, die an der Hauptstraße der Blütenwelt stehen mussten. Wäsche hing an Leinen, die zwischen Mauer und Bäumen gespannt waren – lauter Bettlaken und Handtücher. In jedem Hof, durch den wir kamen, kochten Frauen in weiten Kleidern an kleinen Kohlebecken, warfen Glücksstäbe, flickten Gewänder oder ließen ihr nasses Haar in der Mittagssonne trocknen. Einige waren sogar dabei, den Drachen zu jagen, und der Rauch dieser Droge schlängelte sich um ihren Kopf wie der Schwanz eines dieser großen Tiere. Ich kannte den durchdringenden Geruch von den Teehäusern rund um den Marktplatz. Das Interesse der Frauen an uns war flüchtig und richtete sich vor allem auf Ryko; dann wandten sie sich wieder ihren vormittäglichen Verrichtungen zu. Der einzige längere Blick kam von einem kleinen Mädchen, das zu Füßen einer Frau kauerte, die auf einer Laute mit langem Hals Tonleitern zupfte. Ein leiser Wind, der die stickige Luft bewegte und den Duft nach Seife und den saftigen Geruch von Grillfisch heranwehte, trug das traurige Auf und Ab ihrer Töne herüber. Das kleine Mädchen winkte lächelnd. Ich winkte zurück und sah, wie sie aufsprang vor Freude.
Als wir uns einer flachen Hügelkuppe näherten, erhob sich ein großes Haus mit einem Ziegeldach und eleganten Fensterläden über seine geduckteren Nachbarn. Dieses Gebäude war offenbar unser Ziel, denn Stoll lief voraus, drehte sich um und winkte uns in den Hof. Ich wischte mir den Schweiß aus dem Nacken und berührte erneut den Blutring – damit uns das Glück hold blieb und in der Hoffnung, dass Kygo in Sicherheit war.
Anders als in den übrigen Höfen hing hier keine Wäsche, und auch sonst deutete nichts auf beengte Wohnverhältnisse hin. Stattdessen war der Boden gepflastert und sauber, und links befand sich ein Stall, rechts ein kleiner umfriedeter Garten. Eine niedrige Brüstung verlief entlang der Hausmauer und bildete eine Art Sockel, an dem sich eine Reihe dicht beieinanderliegender bespannter Holzgittertüren entlangzog. Eine stand weit offen, und der Blick fiel wie durch einen Rahmen auf traditionelle Strohmatten, einen niedrigen Tisch und auf die kantigen Umrisse eines formellen Orchideengestecks.
Eine weibliche Gestalt trat in den Türrahmen. Einen Moment lang war nur ihre schlanke, sehr aufrechte Silhouette zu sehen, doch dann kam sie auf die Brüstung heraus. Sie war älter, als man aufgrund ihrer eleganten Körperhaltung vermutet hätte, vielleicht um die sechzig; die tiefen Falten gaben ihrem Gesicht, das noch immer voller Anmut und Schönheit war, einen gewissen Grimm. Sie hob den grünen Seidensaum ihres Kleides und trat an den Rand der Brüstung. Stoll wollte ihr entgegeneilen, doch ihre erhobene Hand gebot ihm, stehen zu bleiben.
»Ihr seid nicht der Meister Heron, den ich erwartet hatte«, sagte sie, während Yuso absaß. Dela brachte unseren Wagen neben ihm zum Stehen. Das Zugpferd schüttelte den Kopf und in der plötzlichen argwöhnischen Stille klang das Klirren des Zaumzeugs unerwartet laut.
Yusos Blick ging zum Stall. Ich folgte der Bewegung seiner Augen und sah im halbdunklen Inneren zwei große Männer von den Trang Dein, die mit tödlichen Doppelhaken warteten. Von der anderen Seite des Hofs aus beobachteten uns zwei weitere Bewaffnete aus dem Dunkel eines Nebengebäudes. So viel zum höflichen Grundsatz der Unbewaffnetheit.
»Wer seid Ihr?«, wollte Mama Momo wissen.
Yuso sah sich wieder zu uns um. »Ryko, worauf wartet Ihr noch?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Neben mir straffte und räusperte sich der Insulaner. »Hallo, Momota. Lange nicht gesehen.«
»Ryko? Bist du es wirklich?«, fragte sie mit schmalen Augen, blickte auf seine gefesselten Handgelenke und dann zu Yuso. »Jungs, wir haben ein Problem«, fügte sie hinzu, und das war ein Befehl.
Die Trang-Dein-Männer traten aus dem Halbdunkel und schwangen ihre hakenbesetzten Schwerter mit leisem Sirren durch die Luft.
Yuso zog sein Messer. »Ryko, habt Ihr nicht gesagt, sie würde Euch helfen?«
Ich schnappte nach Luft. Nichts im Wagen ließ sich als Waffe einsetzen und Kygo hatte meine Schwerter – genau wie das Buch und den Kompass. Ich suchte den Hof mit den Augen ab, doch ich konnte nur eine hölzerne Schaufel entdecken. Vida schob sich zwischen mich und die sich nähernden Männer.
»Gleich lauft Ihr
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