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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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auf den hölzernen Bogen über einem schmalen Kanal, »und dann nach rechts. Verstanden?«
    Dela nickte und ließ den Braunen in Trab fallen. Als wir dröhnend über die Brücke rumpelten, erhaschte ich einen Blick auf das trübe braune Wasser und sah eine Wasserratte, die die träge Strömung durchschnitt wie ein Pfeil.
    Wir bogen auf eine breite Straße ein, die links und rechts von vielen zum Gehsteig hin offenen Tavernen und von Restaurants gesäumt war, deren Tische um Feuerstellen angeordnet waren. Köche beugten sich über zischende Pfannen und der fettige Rauch von geröstetem Schweinefleisch würzte die Luft und überlagerte für kurze Zeit den Gestank nach sonnenwarmem Urin und verrottendem Kohl. Rufe und Spötteleien von frühen Kunden klangen hinter uns her, als wir auf die hohen roten Tore der Blütenwelt zu fuhren.
    Ich war noch nie im Vergnügungsviertel gewesen, doch ich hatte von anderen Jungen viel darüber gehört, als ich mich noch um die Ausbildung zum Drachenauge bewarb. Hauptsächlich war nur getuschelt worden über seltsame Vorrichtungen und unmögliche Stellungen, doch ein Meister hatte seinen Anwärter tatsächlich mitgenommen in die Blütenwelt. Dieser Junge hatte uns erzählt, jeder Mann, der dort durch das Tor trete, müsse eine Maske und ein Kostüm tragen; es ginge um das symbolische Abwerfen der Persönlichkeit, um der zu werden, der man sein wolle, oder um die Last dessen abzulegen, der man sei. Für eine Nacht könnten Bauern Herren sein und Herren Bauern. Alle Männer seien gleich und niemand dürfe innerhalb der Tore eine Waffe tragen, bis auf – hatte er mit einem wissenden Grinsen hinzugefügt, sodass wir uns vorbeugten –, bis auf die berüchtigten Schwertlilien, die die Kunst der Lust am Schmerz praktizierten.
    »Seid gegrüßt!«, rief Yuso einem Torwärter zu, als wir uns der reich verzierten Einfahrt näherten. Dann saß er ab und führte sein Pferd zu dem schmucken Anbau, der aus der hohen Mauer herausragte.
    Die Holztore – so hoch, dass man nicht einmal auf den Schultern eines Freundes hätte darüberschauen können – waren über und über mit einem Schnitzwerk aus stilisierten Blumen verziert, mit Päonien, Apfelblüten, Lilien und Orchideen. Ich suchte in dem geschmeidigen Gewirr aus Stängeln und Blättern nach den anzüglichen Darstellungen, die dazwischen verborgen sein sollten. Doch ich konnte nur den schwachen Umriss einer kleineren Tür im linken Torflügel erkennen.
    Der Wärter kam aus seinem Wächterhaus geschlendert und betrachtete uns. »Angemeldet?«, fragte er.
    »Wir wollen zu Mama Momo«, erwiderte Yuso. »Sagt ihr, Heron aus der Provinz Siroko ist da.«
    Diesen Decknamen hatte Kygo uns gegeben. Mama Momo war anscheinend mehr als nur die Königin der Blütenwelt. Falls der Deckname uns nicht weiterhalf, hatten wir immer noch Rykos Unterstützung. Er hatte zugegeben, dass er sie vor langer Zeit gekannt hatte, in einem anderen Leben. Ich wusste, dass er früher ein Dieb und ein gedungener Schläger gewesen war – vielleicht im Dienste dieser Frau, die nun die Möglichkeit hatte, uns Zugang zum Palast zu verschaffen.
    Der Wärter straffte sich. »Zu Mama Momo?« Er schnippte mit den Fingern und ein Junge kam aus dem Wächterhaus gezischt und wischte sich Krümel vom Mund. »Lauf zum großen Haus, Tik, und sag Mama … wer seid Ihr noch mal?« Yuso wiederholte seinen Decknamen. Der Junge nickte, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. »Und warte auf ihre Anweisungen«, rief der Wachmann, als Tik schon die Tür im Torflügel aufstieß und hindurchstieg. Krachend fiel sie hinter ihm zu.
    Der Wächter lächelte beruhigend und bleckte dabei seine braunfleckigen Zähne. »Es dauert bestimmt nicht lange.«
    So war es. Tik kehrte mit einem dicken Mann zurück, dessen Körperfülle und dessen geflügelter schwarzer Hut ihn als verschnittenen Schreiber auswiesen.
    »Ich bin Stoll, der Sekretär von Mama Momo«, sagte er und verbeugte sich vor Yuso. Sein Blick glitt über mich hin und verharrte kurz auf Ryko, wobei sich seine dünnen gezupften Brauen neugierig hoben. »Bitte hier entlang.«
    Er wies auf ein einfaches Holztor am Ende der hohen Mauer, einen Lieferanteneingang. Die herrlichen Vordertüren der Blütenwelt öffneten sich nicht für einen Menschenhändler und dessen Ware.
    Zwei Jungen zogen das Lieferantentor auf, als wir uns näherten. Es waren keine Eunuchen, jedenfalls noch nicht. Stoll winkte uns in eine Gasse, die an der hinteren Mauer des

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